Harnwegsinfektionen sind oft schwer behandelbar, weil Standardtherapien mit Antibiotika häufig nicht mehr wirken. Dr. Carmen Aguilar und ihr Forschungsteam entwickeln neue Therapieansätze auf der Basis von körpereigenen Verteidigungsstrategien.
Harnwegsinfektionen sind weit verbreitet und häufig wiederkehrend. Sie werden meist durch Darmbakterien der Spezies Escherichia coli ausgelöst, welche sich auf ein Leben in Blase und Harnleiter spezialisiert haben (uropathogener E. coli, UPEC). Wegen ihres bakteriellen Ursprungs werden Harnwegsinfektionen typischerweise mit Antibiotika behandelt. Einige der UPEC-Bakterien „verstecken“ sich jedoch in einem inaktiven Zustand in der obersten Schicht der Blasenschleimhaut und widerstehen dadurch vielen Antibiotika – man nennt sie deswegen auch Persister. Zusätzlich besitzen diese Bakterien häufig bereits Antibiotikaresistenzen. Durch diese ungünstige Konstellation treten die Harnwegsinfektionen bei vielen Patientinnen und Patienten immer wieder auf. Verschlimmert wird die Situation dadurch, dass zur Verhinderung einer erneuten Harnwegsinfektion oft vorbeugend Antibiotika verordnet werden, so dass langfristig immer mehr Bakterienstämme resistent werden und die klassische Antibiotikabehandlung nicht mehr wirkt.
Antimikrobielle Resistenzen sind in Deutschland und international eine weit verbreitete Bedrohung für die Gesundheit – und Harnwegsinfektionen (HWI) sind ein Paradebeispiel dafür. HWI können ernste und langwierige Gesundheitsprobleme verursachen, weil die verantwortlichen Bakterien der Art Escherichia coli überall in unserem Darm vorkommen und gegen immer mehr Antibiotika resistent sind. Außerdem kann sich eine auf Harnwege spezialisierte Form von E. coli (UPEC) besonders erfolgreich und nachhaltig in der Blase ansiedeln.
Eine Gruppe von Nachwuchsforschenden um die Würzburger Wissenschaftlerin Dr. Carmen Aguilar will daher jetzt ganz neue Wege bei der Bekämpfung der Harnwegsinfektionen gehen. Im Fokus der Gruppe stehen nicht etwa die Angriffsmechanismen der Bakterien, sondern die Verteidigungsstrategien der menschlichen Blasenzellen. Dabei soll auf molekularer Ebene untersucht werden, wie einige Zellen die Erreger bekämpfen, während sich in anderen Zellen UPEC-Persister ansiedeln können und somit Krankheitsrückfälle ermöglichen. Das Nachwuchsteam hofft daraus ableiten zu können, wie man diese Mechanismen medikamentös so beeinflussen kann, dass die spezialisierten Bakterien bekämpft und der Einsatz von Antibiotika verringert werden kann. Für ihr Projekt FiRe-UPec (Fighting Recurrent UPEC infections) wird die Nachwuchsgruppe vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den kommenden fünf Jahren mit 2,35 Millionen Euro gefördert.
3D-Gewebemodelle
Die Würzburger Projektleiterin hat sich in ihrer bisherigen Forschung bereits intensiv mit dem Zusammenspiel zwischen dem erkrankten Organismus (Wirt) und dem Erreger befasst. Dabei wendete sie eine Methode an, mit deren Hilfe wirtsspezifische Faktoren wie zelluläre Subtypen, Stoffwechselwege oder molekulare Rezeptoren im Detail erforscht werden können, ohne dabei auf Tierversuchsmodelle zurückgreifen zu müssen. Das gelingt durch sogenannte Organoid-Kulturen: Das sind im Labor vermehrte Zellen der Blase, die sich zu gewebeartigen Strukturen ausbilden und so ganz ähnlich funktionieren wie die entsprechenden Organe im menschlichen Körper. Nachdem Aguilars Team bislang Organoide für Blasengewebe von Tieren entwickelte, wird die Gruppe für das Projekt FiRe-UPec nun Organoide aus Blasenzellen des Menschen aufbauen.
Zelleigene Mechanismen für Therapie nutzen
In den Zellen dieser Organoide untersucht die Forschungsgruppe Änderungen der Genreaktion, die von der Infektion im Wirtsorganismus ausgelöst werden. So will die Gruppe den Anteil an zellulären microRNA-Molekülen identifizieren, die den Infektionsprozess kontrollieren. Diese besonders kurzkettigen Ribonukleinsäuren (RNA) spielen eine wichtige Rolle im komplexen Netzwerk der Genregulation. Besonders vielversprechende microRNA-Moleküle und die beteiligten zellulären Prozesse will das Team dann im Anschluss genauer untersuchen. „Auf der Basis dieser Ergebnisse können wir Wirkstoffe für eine mögliche therapeutische Behandlung der Blaseninfektion entwickeln“, erklärt Projektleiterin Aguilar das Forschungsziel.
Über die Richtlinie zur Förderung von Nachwuchsgruppen in der Infektionsforschung unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Projekt „FiRe-UPec – Wirtssignalwege als neue Angriffspunkte zur Behandlung antibiotikaresistenter uropathogener Escherichia coli-Infektionen“ von 2022 bis 2027 mit 2,35 Millionen Euro. Ziel der Fördermaßnahme ist es, die Karriere qualifizierter Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in der klinischen und anwendungsorientierten Infektionsforschung gezielt zu fördern und die wissenschaftliche Basis in der Infektionsforschung in Deutschland zu stärken. Im Mai 2022 startete die zweite Förderphase der Maßnahme und damit das Projekt „FIRe-UPec“.