Gesunde Ernährung braucht gute Kommunikation

Gesunde Lebensmittel gehören auf den Speiseplan, das Wissen um eine ausgewogene Ernährung in die Köpfe von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Dazu aber braucht es gute Kommunikationsrezepte – Beispiele beschreibt Dr. Tobias D. Höhn im Interview.

Junges Paar auf dem Weg zum Picknick

Wissen wie’s geht: Gesunde Ernährung hilft Krankheiten vorzubeugen.

AE Pictures Inc./GettyImages

Mehr wissen, besser essen, gesünder leben: Beim Thema Ernährung geht es darum, gesunde Lebensmittel in die Küchen und auf die Teller von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu bringen – und wissenschaftliche Erkenntnisse in ihr Bewusstsein zu rücken. Denn tatsächlich nehmen viele Menschen mehr Fett, Zucker oder Salz zu sich als von Ernährungsexperten empfohlen, oder sie essen beispielsweise zu wenig Obst, Gemüse und Ballaststoffe. Wohl jeder weiß, dass sich mit gesunder Ernährung vor allem Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen lässt, doch bleibt die Umsetzung eine Herausforderung – für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft als Ganzes.

Damit gesicherte und belastbare Informationen aus der Ernährungsforschung in die Köpfe der Menschen gelangen, ist es wichtig zu verstehen, wie Verbraucherinnen und Verbraucher sich informieren, wem sie vertrauen, welche Fakten sie für ihre Kauf- und Ess-Entscheidung benötigen. Dazu hat der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kompetenzcluster für Ernährung und kardiovaskuläre Gesundheit (nutriCARD) eine Arbeitsgruppe Ernährungskommunikation aufgebaut. Gemeinsam mit der Technischen Universität Dortmund hat der Cluster unter anderem den „Medien-Doktor Ernährung“ auf den Weg gebracht. Dr. Tobias D. Höhn, Leiter der Arbeitsgruppe Kommunikation und Medienforschung bei nutriCARD, berichtet im Interview über die Arbeit des Clusters und erklärt, was gute Kommunikation ausmacht und bewirken kann.

Der Kompetenzcluster für Ernährung und kardiovaskuläre Gesundheit (nutriCARD) ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundvorhaben der Universitäten Halle, Jena und Leipzig. Der Cluster bündelt die Expertise der Universitäten sowie weiterer außer­universitärer Partner in Mitteldeutschland. Mit fächerübergreifender Grundlagenforschung und der Entwicklung von herzgesünderen Lebensmitteln, Ernährungskonzepten und Kommunikationsstrategien will der Cluster die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Bevölkerung senken. Von 2015 bis 2023 fördert das BMBF die Arbeiten des Clusters mit einer Gesamtsumme von rund elf Millionen Euro.

Der Weg vom Wissen zum Handeln: Überzeugen statt überreden

Dr. Tobias D. Höhn

Dr. Tobias D. Höhn, Leiter Kommunikation und Medienforschung beim Kompetenzcluster nutriCARD

Alexandra Winter

Das Thema  Ernährung geht uns alle an – was finden Sie an Ihrem Forschungsfeld besonders spannend?

Genau das: Es geht uns alle an. Keiner kann sich davor drücken und die Verantwortung allein an Politik oder Medizin delegieren; wohlwissend, dass auf politischer und wirtschaftlicher Ebene Rahmenbedingungen geschaffen werden. Ernährung ist auch eine Frage der Einstellung – ähnlich wie beim Klima stellt sich uns in einer sich verändernden Welt die Frage: Wie wollen wir leben? Diese abstrakten und globalen Fragen konkret, greif- und begreifbar zu machen reizt mich an der Ernährungskommunikation besonders. Hier ergeben sich neue Fragestellungen, zum Beispiel zu den Informationswegen ernährungswissenschaftlicher Publikationen und deren Resonanz in der Öffentlichkeit, zur Rolle von Influencern oder der Einflussnahme unterschiedlicher Interessengruppen rund um gesundes Essen.

Es gibt eine wahre Flut von Informationen über Ernährung – und doch ernähren sich die Menschen immer ungesünder. Was läuft da falsch?

Der Informationsdschungel sorgt eher für Verwirrung denn als alltagstaugliche Anleitung zum gesünderen Essen und Lebensstil. In den sozialen Medien ist es auch beim Thema Ernährung ein bisschen wie beim Fußball: Jeder, der halbwegs mit einem Ball dribbeln kann, denkt, er ist der bessere Trainer. Hat jemand mit einem Verzicht von bestimmten Lebensmitteln sein Gewicht reduziert oder eine Linderung von Leiden erzielt, wird dies als Stein der Weisen proklamiert. Personalisierung und einfache Claims bringen Punkte. Da hat es die Ernährungswissenschaft viel schwerer, denn ganz so einfach sind wissenschaftlich nachgewiesene Wirkungszusammenhänge nicht.

Lange wurde die Bedeutung der Kommunikation aber auch einfach unterschätzt. Forschungsbefunde wurden in Fachzeitschriften veröffentlicht und auf Fachkongressen zur Diskussion gestellt – innerhalb und für die wissenschaftliche Community. Die Aufbereitung der Informationen für die Bevölkerung wurde hintangestellt. Dies ist kein alleiniges Manko der Ernährungswissenschaft, auch der Journalismus hat Wissenschaft zunächst in den Randspalten abgehandelt. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten wurde Wissenschaft und insbesondere Ernährung zum Top Thema, das es auf die Titelseiten schafft – und Auflage macht. Und schon stoßen wir auf das nächste Problem: Wer kann darüber kompetent berichten?

Das Kompetenzcluster nutriCARD hat den „Medien-Doktor Ernährung“ mit auf den Weg gebracht. Was verbirgt sich hinter diesem Projekt und dem dazu gehörigen Internet-Portal und was wollen Sie damit erreichen?

Mit dem Mediendoktor wollten wir ein Monitoring der Ernährungsberichterstattung starten. Dafür haben wir gemeinsam mit einem Pool erfahrener Wissenschaftsjournalisten zunächst vorhandene Bewertungskriterien aus der Medizinberichterstattung an das Thema angepasst, getestet und nachjustiert. Und haben dann in den letzten zwei Jahren rund 50 Online-Artikel deutscher Medien von zwei Gutachterinnen bzw. Gutachtern bewerten lassen. Unser ernüchterndes Ergebnis: Die beste Bewertung von fünf Sternen erreichte kein Text, der Mittelwert lag bei einem Stern. Oder drastischer formuliert: Klickzahlen und Suchmaschinenoptimierung scheinen oft wichtiger zu sein, als Leserinnen und Leser kompetent und kritisch über Ernährungsthemen zu informieren.

Unser Ziel war es aber nie, mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einzelne Redaktionen zu deuten. Der Medien-Doktor möchte helfen, bei Journalisten, Redaktionen, Wissenschaftskommunikatoren und auch bei Mediennutzern ein Bewusstsein für notwendige Standards in der Berichterstattung zu schaffen. Und gerne stellen wir dabei anhand gelungener Beiträge vor, wie auch schwierige Zusammenhänge korrekt, informativ, ansprechend und interessant dargestellt werden können.

Welche Erkenntnis aus den nutriCARD-Studien hat Sie am meisten überrascht?

Drei Ergebnisse haben mich verblüfft und nachdenklich gestimmt. Erstens: Die tägliche Berichterstattung über Ernährung ist seit den 1990er Jahren etwa um das Achtfache gestiegen. Das ist gut, zumal es überwiegend faktenbasiert und ausgewogen zugeht. Nicht ganz so erfreulich ist, dass Ernährungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler als Quelle die Ausnahme bilden.

Zum Zweiten findet auch die Anschlusskommunikation – also die Diskussion der Leserinnen und Leser über die Berichterstattung – online in den Kommentarspalten der Publikumsmedien statt. Dass sich dort viel Wissenschaftspessimismus zeigt, ist das eine. Dass die Redaktionen das aber nicht moderieren und Feedback, Meinungsäußerungen, Bedenken nicht aufgreifen, ist eine vertane Chance!

Unsere Befragung von so genannten Ernährungsjournalisten hat drittens gezeigt, dass viele um die Qualität der Berichterstattung fürchten – auf Grund von abnehmender Objektivität, Sensationalisierung und Skandalisierung, aber auch durch den Einfluss von PR und Lobbying. Und sie beklagen, dass immer weniger Zeit für Hintergrundrecherchen und Qualitätsprüfungen bleibt, was den ersten Befund noch verstärkt. Auch hier aber gibt es eine gute Nachricht: Die Journalisten wünschen sich eine spezielle Aus- und Fortbildung im Ernährungsjournalismus.

Der „Medien-Doktor ERNÄHRUNG“ ist ein Angebot von Journalisten für Journalisten des Kompetenzclusters nutriCARD. Aufbauend auf bewährten Praktiken aus der Analyse der Medizinberichterstattung am Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus der Technischen Universität Dortmund beurteilen erfahrene Wissenschaftsjournalisten Beiträge in Publikumsmedien anhand eines hierfür entwickelten Kriterienkatalogs. Mit ihrer Arbeit und über die Online-Plattform wollen die Beteiligten die Qualität der Berichterstattung über Lebensmittel, Diäten und Ernährungsformen verbessern. Der Medien-Doktor Ernährung wird vom Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund und aus Mitteln des Kompetenzclusters für Ernährung und kardiovaskuläre Gesundheit (nutriCARD) finanziert. 

Mehr erfahren: https://medien-doktor.de/ernaehrung/

Wie muss Ernährungskommunikation beschaffen sein, um das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung nachhaltig zu beeinflussen? Gibt es ein Erfolgsrezept?

Ernährungskommunikation muss stärker an die einzelnen Zielgruppen angepasst sein, sie muss deren Lebenswirklichkeit aufgreifen und sie muss verständlich sein. Nur so gelingt der vielbeschworene Weg vom Wissen zum Handeln. So toll und innovativ manche Initiativen sind: Es braucht auch einen breiten Diskurs und langen Atem, um etwas zu bewegen. Denn Ernährungskommunikation ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Dazu zählt auch, den Menschen den Wert von Lebensmitteln zu vermitteln. Und das nicht nur innerhalb einer Projektwoche in der Schule oder im Kindergarten, sondern als Querschnittsthema.

Sie leiteten den nutriCARD-Schwerpunkt „Ernährungskommunikation und Medienforschung“ – wie kommuniziert das Cluster Forschungsergebnisse und deren praktische Umsetzung an die breite Öffentlichkeit?

Die Öffentlichkeit ist äußerst heterogen und vielfältig. Auch wenn die Kommunikation nach außen nur ein kleiner Teilbereich unseres Kompetenzclusters war, haben wir doch viel auf die Beine gestellt und ganz differenziert kommuniziert.

So etwa hat nutriCARD 2018 das Forum des Mitteldeutschen Unibundes auf der Leipziger Buchmesse gestaltet – mit einem attraktiven Programm aus Vorträgen und Diskussionen, aber auch einem Sinnesparcours und einem Ernährungsquiz. Damals habe ich einen Claim geprägt, der unseren Ansatz auf den Punkt bringt: „Mehr wissen. Besser essen. Gesünder leben.“ Unsere Idee, statt eines akademischen Festvortrages eine Kochshow mit einem Sternekoch und wissenschaftlichen Faktenhäppchen zu machen, war außerordentlich erfolgreich: Mehr als 3.000 Interessierte besuchten das Forum an nur vier Messetagen.

Mir ging es immer darum, die Menschen nicht zu überreden, sondern sie zu überzeugen. Und wo setzen sich Verbraucherinnen und Verbraucher mit Ernährung auseinander? In Restaurants und Kantinen. Gemeinsam mit Hotels, Restaurants und Großküchen wollten wir ausgewählte Gerichte gesünder machen – ohne Geschmackseinbußen und unter dem Label „gesünder genießen“. Das Konzept war gut, wurde sogar als touristisch vermarktbar eingestuft, auch das erste Restaurant war mit Begeisterung dabei. Dann kam die Corona-Pandemie – und damit war dieser Weg des Wissenstransfers erst einmal versperrt.

Auch das gehört zu angewandter Forschung: Rückschläge. Aber wir haben immer neue Horizonte geöffnet wie mit der Smartphone-App „nutriCARD gesünder essen“. Ein mobiler Einkaufsberater auf Basis der Nährwert-Ampel „Nutri-Score“. Die App ging aber einen Schritt weiter und lieferte genaue Daten zu Inhaltsstoffen, Nährwerten und bedenklichen Zutaten von Lebensmitteln wie Joghurt, Keksen oder Limonaden. Mit dem Ausscheiden unseres Kooperationspartners ist die App derzeit leider nicht verfügbar.

Ernährung und Kommunikation sind wie ein Kaleidoskop: Facettenreich, bunt und anhand der Wissensbasis lassen sich die Teile immer wieder je nach Zielgruppe neu zusammensetzen und anpassen. Diesen Sommer haben wir in Zusammenarbeit mit der Tafel Deutschland mit Grundschülern in Thüringen das „Abenteuer Ernährung“ gestartet. An acht Nachmittagen haben die Kinder die komplette Nahrungskette kennengelernt – von der Aufzucht der Tiere über die Herstellung von Wurst und Butter bis hin zum eigenständigen Kochen. Die Kinder waren mit Feuereifer dabei und haben ihre Eltern angestachelt. Kinder sind sehr gute Multiplikatoren,

Es gibt viele weitere Beispiele, die aber alle eines zeigen: Ernährungskommunikation braucht einen langen Atem und ist bislang ein unterschätzter Baustein in Forschung und Praxis.

Was verbinden Sie persönlich mit dem Thema Ernährung und Kommunikation?

Ernährung ist für mich immer auch Kommunikation. Wenn ich mit meinen Kindern gemeinsam einkaufen gehe, wir uns überlegen, was wir essen wollen, wir anschließend zusammen kochen und dann am gedeckten Tisch sitzen: Was gibt es Schöneres? Ich weiß aber auch, dass das nicht der Standard ist, denn wie oft muss es schnell gehen. Und am Morgen, wenn meine Kinder die schrill-bunte Cornflakes-Packung anschauen, auf den Nutri-Score B zeigen und sagen: „Ist doch gesund!“ Dann weiß ich, es gibt noch viel zu tun.