Manche Menschen reagieren mit körperlichen Beschwerden auf den Verzehr bestimmter Nahrungsmittel – das BMBF fördert Forschung dazu, wie Nahrungsmittelunverträglichkeiten entstehen, wie ihnen vorgebeugt und wie sie genauer diagnostiziert werden können.
Schon ein Glas Milch führt zu Blähungen und Bauchschmerzen, Parmesan-Käse und ein Glas Rotwein verursachen Quaddeln auf der Haut, ein frischer Apfel löst Bauchkrämpfe aus? Was Mediziner als Nahrungsmittelunverträglichkeit bezeichnen, kann für manche Menschen zum echten Problem werden: Nach dem Verzehr bestimmter Lebensmittel entwickeln sie regelmäßig körperliche Beschwerden, die individuell verschieden und unterschiedlich stark ausfallen.
Der medizinische Fachausdruck Nahrungsmittelunverträglichkeit ist ein Überbegriff für alle unerwünschten Beschwerden oder Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel. Entweder reagiert der Körper allergisch auf bestimmte Inhaltsstoffe von Lebensmitteln, oder es fehlen ihm die passenden Werkzeuge, sprich: Enzyme, um diese Stoffe richtig zu verdauen und zu verarbeiten.
Man unterscheidet zwischen Nahrungsmittelallergien und -intoleranzen: Bei einer Allergie reagiert die körpereigene Abwehr, das Immunsystem, auf einen eigentlich harmlosen Fremdstoff und bildet spezielle Antikörper. Dafür reichen schon kleinste Mengen des Allergens. Die immunologisch bedingten Beschwerden können bis zu 72 Stunden nach dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel wie zum Beispiel Nüssen auftreten und von einem leichten Juckreiz und Schwellungen der Haut und der Schleimhäute über Niesattacken und Atemnot bis hin zu Erbrechen und Durchfall reichen. Immunologische Reaktionen können sich als Herzrasen, Benommenheit und Schwindel äußern oder sogar als lebensbedrohliches Kreislaufversagen, dem sogenannten anaphylaktischen Schock. Bei dieser schwersten Form einer allergischen Reaktion ist sofortiges Handeln erforderlich und ärztliche Abklärung zwingend.
Bei einer Intoleranz dagegen ist das körpereigene Abwehrsystem nicht beteiligt; es kommt zu keiner immunologischen Reaktion. Stattdessen können bestimmte Inhaltsstoffe bei den Betroffenen nicht richtig verdaut oder abgebaut werden. Sie werden dann beispielsweise von den körpereigenen Bakterien im Darm zu Abbauprodukten zersetzt, die Beschwerden hervorrufen. Typische Symptome von Nahrungsmittelintoleranzen sind Magen-Darm-Probleme, Blähungen, aber auch Kopfschmerz und Migräne, Asthma, Herzrasen und Hautrötungen.
BMBF-Förderung auf nationaler und internationaler Ebene
Auf nationaler Ebene fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2021 fünf interdisziplinäre Forschungsverbünde, um den Ursachen von Nahrungsmittelunverträglichkeiten auf die Spur zu kommen. In diesen mit insgesamt bis zu 12,5 Millionen Euro unterstützten Verbünden haben sich verschiedene Arbeitsgruppen aus universitären, außeruniversitären und industriellen Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen, um innovative Diagnose- und Therapiemöglichkeiten zu entwickeln und zu erproben.
Interdisziplinäre Forschungsverbünde zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Darüber hinaus ist das BMBF an der gemeinsamen europäischen Programminitiative „Eine gesunde Ernährung für ein gesundes Leben“ (JPI HDHL) beteiligt. Gemeinsam mit Deutschland unterstützen Förderorganisationen aus Belgien, Frankreich, Großbritannien, Lettland, Norwegen und Polen über das ERA-Netz Cofund „ERA-HDHL“ transnationale und interdisziplinäre Forschungskonsortien, die den Einfluss von Zusammensetzung und Verarbeitung von Lebensmitteln auf die Entwicklung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten untersuchen.
JPI HDHL FoodHypersens: Transnationale Forschungsverbünde mit deutscher Beteiligung
Wie entstehen Unverträglichkeiten, wie lässt sich das Leben von Betroffenen erleichtern?
Oft sind Betroffene gezwungen, trotz des Risikos einer unausgewogenen Ernährung ganz auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten; häufig treten auch Unverträglichkeiten nach dem Verzehr stark verarbeiteter Nahrungsmittel auf. Da Lebensmittel, die mehrere Verarbeitungsschritte durchlaufen haben und viele Zutaten und Zusatzstoffe enthalten, auf zahlreichen Speiseplänen stehen, ist es also wichtig zu verstehen, wie Bestandteile von Lebensmitteln und deren Verarbeitungsmethoden das Auftreten von Unverträglichkeiten begünstigen oder verhindern können.
Denn: Unerwünschte Reaktionen auf Nahrungsmittel nehmen weltweit zu – aber viel häufiger als medizinisch diagnostiziert berichten Betroffene selbst davon. Bislang bekannt ist: Die Ursachen für diese Reaktionen sind vielfältig und können auf Allergien oder auf Intoleranzen gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln oder Nahrungsmittelbestandteilen zurückgeführt werden. Doch wie entstehen Nahrungsmittelunverträglichkeiten genau? Wie kann ihnen vorgebeugt oder wie können sie genauer diagnostiziert werden? Und wie kann das Leben der Betroffenen erleichtert werden?
Um diese Fragen zu beantworten, fördert das BMBF seit 2021 fünf interdisziplinäre Forschungsverbünde. Darin wird beispielsweise nach neuen Diagnose-Möglichkeiten für Erd- und Haselnussallergien oder Weizenunverträglichkeit geforscht. Ein weiterer Forschungsverbund entwickelt eine App, um Fachpersonal und Eltern von Kindern mit einem hohen Allergie-Risiko zur Prävention und rechtzeitigen Toleranzentwicklung anzuleiten.
Interdisziplinäre Forschungsverbünde zur Untersuchung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten:
Nahrungsmittelallergien können die Lebensqualität von Betroffenen stark einschränken und sogar lebensbedrohliche Reaktionen hervorrufen. Wie stark jemand auf einen bestimmten Inhaltsstoff reagiert, lässt sich nur mit sehr aufwändigen Tests zuverlässig bestimmen.
Ziel des ABROGATE-Verbundes ist es, neuartige Lösungen zur Diagnose und Behandlung für Menschen mit allergischer Überempfindlichkeit gegen Lebensmittel zu finden. Hierzu wird die Interaktion verschiedener Allergie-regulierender Faktoren analysiert, was eine Einteilung der betroffenen Personen in spezifische Subgruppen und damit einen personalisierten Diagnose- und Behandlungsansatz ermöglichen soll.
Weitere Informationen: ABROGATE-Verbund
Erdnüsse und Haselnüsse gehören zu den häufigsten Auslösern von Nahrungsmittelallergien. Die Reaktion der betroffenen Patientinnen und Patienten reicht von leichten Hautsymptomen bis hin zum allergischen Schock, einer lebensbedrohlichen Beeinträchtigung der Atmung und des Herz-Kreislauf-Systems. Gegenwärtig erhalten alle Personen, die allergisch auf Erdnüsse und/oder Schalenfrüchte reagieren, den Ratschlag diese Allergene strikt zu vermeiden.
Um eine individuellere Beratung zu ermöglichen, werden Testsysteme zum individuellen Toleranzprofil von Betroffenen sowie zum Nachweis von Erd- und Haselnuss-Allergenen in unverarbeiteten bzw. verschieden verarbeiteten Lebensmitteln entwickelt. Durch Kombination der Informationen aus den Testsystemen kann abgeschätzt werden, ob eine Allergiepatientin bzw. ein Allergiepatient ein verarbeitetes Lebensmittel ohne Risiko verzehren kann.
Weitere Informationen: Forschungsverbund ErdHase
Immer mehr Menschen vertragen keinen Weizen. Grund dafür können eine Weizenallergie oder Gluten-Unverträglichkeit (Zöliakie) sein, die beide klar definierte Krankheiten darstellen. Häufig hat Unverträglichkeit von Weizen allerdings andere Ursachen, deren Diagnose bislang sehr aufwendig ist. Die Symptome im Magen-Darm-Trakt werden teilweise als Reizdarmsyndrom fehldiagnostiziert, was zu einer suboptimalen Therapie führt.
Forschende im Projekt „INDICATE-FH“ wollen deshalb Endoskopie-gestützte Diagnoseverfahren entwickeln, die die verschiedenen Ursachen für die Unverträglichkeit von Weizen unterscheiden und vom Reizdarmsyndrom abgrenzen können. Zusätzlich soll die Diagnose von Weizenunverträglichkeiten anhand von Blut-, Speichel- oder Stuhlproben erermöglicht werden. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend sollen Patientinnen und Patienten künftig eine spezifischere, weniger belastende Ernährungstherapie erhalten.
Weitere Informationen: INDICATE-FH
Die meisten Allergien beginnen bereits in der Kindheit und führen oft zu weiteren Allergien im Laufe des Lebens. Das erste klinische Auftreten von Allergien ist oft dramatisch; allergische Schocks können innerhalb weniger Minuten einen lebensbedrohlichen Zustand auslösen. Umso wichtiger ist es, Kinder mit einem erhöhten Allergierisiko schon vor dem Auftreten erster Symptome zu identifizieren und sie zu schützen. Allerdings ist bisher zu wenig darüber bekannt, wie Nahrungsmittelallergien genau entstehen, um das Risiko zu erkennen und zu berechnen. Dabei soll eine von den Forschenden entwickelte App unterstützen, die sich an medizinisches Fachpersonal und Eltern von Kindern mit einem hohem Allergie-Risiko richtet. Eltern erhalten zudem Informationen, wie sich eine Toleranz gegenüber einem möglichen allergieauslösenden Nahrungsmittel aufbauen lässt.
Weitere Informationen: NAMIBIO-App
Weizen verursacht bei vielen Menschen allergische Reaktionen. Bislang kann nicht verlässlich vorhergesagt werden, wer eine Weizenallergie entwickelt oder im Verlauf des Lebens wieder tolerant wird. Ziel des Verbundes WHEAT-A-BAIC ist es, Weizenallergie und -intoleranz vom Säuglings- bis zum Erwachsenenalter zu untersuchen, um die Diagnostik und die medizinische Versorgung von Menschen mit Nahrungsmittelallergien zu verbessern.
In verschiedenen Teilprojekten werden Auswirkungen der Weizenallergie oder -intoleranz auf Organe untersucht, die Rolle des Geschlechts und mögliche Kofaktoren sowie genetische und umweltbedingte Einflüsse. Zudem wollen die Forschenden den Nutzen glutenfreier Produkte bei Weizenallergie evaluieren und die Rolle von psychologischen Faktoren bei der Weizenunverträglichkeit bestimmen, um neuartige Behandlungsansätze zu entwickeln.
Weitere Informationen: WHEAT-A-BAIC
Bei manchen macht‘s die Milch, bei anderen der Fruchtzucker
Manche Menschen reagieren besonders empfindlich auf den in Milchprodukten und Obst enthaltenen Milch- oder Fruchtzucker, andere auf Histamin, das in bestimmten Käse-Sorten oder etwa Rotwein vorkommt, oder auf das in Weizenprodukten enthaltene Gluten. Ebenfalls bekannt: Die umgangssprachlich auch als „China-Restaurant-Syndrom“ bezeichnete Unverträglichkeit des Geschmacksverstärkers Glutamat, der sich häufig in asiatischen Speisen findet.
Für fast jeden fünften Erwachsenen in Deutschland ist zum Beispiel Milchzucker (Laktose) nur in kleinen Mengen bekömmlich – Fachleute sprechen von einer Laktoseintoleranz. Milch, Quark, Sahne und Frischkäse sind Produkte, die besonders viel Laktose enthalten und Beschwerden auslösen können. Menschen mit Laktoseintoleranz fehlt das Enzym Laktase, das den Milchzucker im Darm aufspaltet, damit er verwertet werden kann. Ohne ausreichend Laktase wird der Milchzucker erst im Dickdarm von Darmbakterien abgebaut. Das wiederum kann mit Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall einhergehen.
Ähnliche Symptome zeigen sich bei einer Fruktoseintoleranz, der Unverträglichkeit von Fruchtzucker. Fruchtzucker ist ein natürlich vorkommender Zucker, der frischem Obst seine Süße verleiht, aber auch in vielen Nahrungsmitteln vorkommt – angefangen bei Marmelade über Fruchtsäfte bis hin zu vielen Fertigprodukten. Ein Transporteiweiß befördert den Zucker aus dem Dünndarm in den Blutkreislauf, kann aber nur eine bestimmte Menge auf einmal transportieren. Überzählige Fruktose gelangt weiter in den Dickdarm und wird dort von Bakterien als Energielieferant genutzt und aufgespalten. Dabei entstehen Gase und Fettsäuren, die die typischen Beschwerden auslösen können.
Weniger gut erforscht ist die Histaminintoleranz. Histamine können in Nahrungsmitteln vorkommen – zum Beispiel in bestimmten Käsesorten, in Rotwein, Wurst, Speck- und Schinkenprodukten sowie in Tomaten und allen Produkten, die aus Tomaten hergestellt werden. Vermutlich können manche Menschen Histamin nur langsam oder nicht vollständig abbauen. So kann der Verzehr bestimmter Nahrungsmittel Beschwerden auslösen, die durch hohe Histaminmengen verursacht werden. Alkohol wirkt sich zusäztlich negativ aus, weshalb die beliebte Kombination von Rotwein und Käse bei Betroffenen Probleme verursachen kann. Ebenso uneinheitlich wie die Ursachen können die Symptome einer Histaminintoleranz sein – sie reichen von Kopfschmerzen und Schwindel über Asthma bis hin zu Magen-Darm-Beschwerden und Hautproblemen.
Ein Sonderfall unter den Nahrungsmittelunverträglichkeiten ist die Glutenunverträglichkeit oder Zöliakie. Hinter diesem Fachbegriff verbirgt sich eine Erkrankung des Darms, genauer: eine chronische Entzündung des Dünndarms, die mit dem in unterschiedlichen Getreidearten enthaltenen Klebereiweiß Gluten in Verbindung steht. Es kommt unter anderem in Weizen, Dinkel und Roggen vor sowie in vielen verarbeiteten Lebensmitteln. Mit der Zeit verändert sich die Darmschleimhaut und kann weniger Nährstoffe aufnehmen. Eine Zöliakie kann unterschiedlich starke und sehr individuelle Beschwerden auslösen: Gewichtsverlust, Wassereinlagerungen, aber auch Blutarmut, Gelenk- und Hautbeschwerden oder Vitaminmangel.