Die Einnahme antiviraler Medikamente kann einer HIV-Infektion vorbeugen. Welche Faktoren die Schutzwirkung begünstigen oder beeinträchtigen, untersuchen Nachwuchsforschende am Robert Koch-Institut anhand mathematischer Methoden und Software-Modelle.
Weltweit infizieren sich jeden Tag etwa 5.000 Menschen mit dem HIV-Virus; auch in Deutschland erkranken immer noch rund 1.000 Menschen im Jahr an Aids oder einem schweren Immundefekt – obwohl es vermeidbar wäre. HIV-infizierte Personen müssen lebenslang antivirale Medikamente einnehmen, um das Auftreten lebensbedrohlicher Krankheitssymptome zu verhindern. Antivirale Medikamente können aber auch vorbeugend eingesetzt werden, um eine Ansteckung mit dem Virus zu verhindern. Diese Möglichkeit der Prophylaxe untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Die von Dr. Max von Kleist geleitete Nachwuchsgruppe trägt das Kürzel „Trans-PrEP“ und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bis 2025 mit rund 1,3 Millionen Euro gefördert.
Vorbeugung in Tablettenform
Das Kürzel PrEP steht für „Prä-Expositions-Prophylaxe“. Bei dieser Form der Vorbeugung wird ein HIV-/Aids-Medikament – meist in Tablettenform – eingenommen. Richtig angewendet kann die PrEP sehr gut vor einer Infektion schützen. Relevant ist dieser vorbeugende Schutz vor allem für Menschen mit einem erhöhten HIV-Risiko: In Deutschland unter anderem Männer, die Sex mit Männern haben , Partnerinnen und Partner von Aids-infizierten Menschen, aber auch Menschen die Drogen injizieren, oder Sex-Arbeiter. Im südlichen Afrika hingegen, wo die meisten HIV-Infektionen stattfinden, sind hauptsächlich junge Frauen betroffen, die keine andere Option zum HIV-Selbstschutz haben.
Bei täglicher Einnahme sorgen die Wirkstoffe des PrEP-Medikaments dafür, dass sich ein in Immunzellen eindringendes HIV-Virus am Ort der Exposition nicht weiter vermehren kann. Das heißt, die Medikamente erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus vom körpereigenen Immunsystem kurz nach der Exposition unschädlich gemacht wird, noch bevor es die exponierte Person unwiderruflich infiziert. Wird das Medikament abgesetzt, werden diese schützenden Wirkstoffe wieder abgebaut.
Inzwischen ist die Infektionskrankheit Aids/HIV medizinisch gut behandelbar, doch immer noch erfahren HIV-infizierte Menschen Vorurteile und Diskriminierung – auch daran erinnert der Welt-Aids-Tag, der jedes Jahr am 1. Dezember stattfindet. 2021 steht der Tag unter dem Motto „Ungleichheiten beenden. Aids beenden. Pandemien beenden.“ Das Ziel der weltweiten Aktionen: offen über das Tabu-Thema Aids sprechen, Menschen auch ohne HIV informieren und schützen, HIV-infizierten Menschen Zugang zu medizinischer Behandlung geben.
Mathematische Modelle sollen mehr zur Schutzwirkung verraten
„Wir wollen jene Faktoren genauer bestimmen, die die Schutzwirkung der Prä-Expositionsprophylaxe beeinflussen“, beschreibt der Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe, Dr. Max von Kleist, die Ziele des Projekts Trans-PrEP. Zum einen geht es dabei um die sogenannte Wirkstoffadhärenz, also die genaue Einhaltung der Medikamentengabe – eine Schlüsselkomponente für eine erfolgreiche Vorbeugung. Darüber hinaus untersucht die Gruppe Zeitpunkt und Art der Virusexposition und Entstehung, sowie die Übertragung von Wirkstoffresistenzen im Körper.
Mit klinischer Forschung hat das Vorhaben dennoch wenig zu tun – das Vorhaben fällt vielmehr in den Bereich der Medizininformatik. Mit ihren Arbeiten betritt die Gruppe gleichsam methodisches Neuland: „Wir entwickeln mathematische Methoden und Software-Programme, mit denen sich zum Beispiel akkurat beschreiben lässt, wie die verabreichten Medikamente auf den menschlichen Organismus und das Virus wirken, und wie sich darauf aufbauend eine Schutzwirkung vor Infektion abschätzen lässt“, so von Kleist. „Diese Modelle helfen uns dann herauszufinden, wie sich die Schutzwirkung der Prophylaxe stärken lässt. Sie bauen auf einige Parametern auf, die klinisch nur schwer, oder überhaupt nicht gemessen werden können.“ Für die Abschätzung der Schutzwirkung etwa wäre eine extrem hohe Zahl von Probandinnen und Probanden notwendig, andere Untersuchungen wären unethisch, weil man Menschen gezielt einem Infektionsrisiko aussetzen müsste, um klinisch beschreiben zu können, was im menschlichen Körper kurz nach einer HIV-Exposition geschieht.
Enge Kooperation über Grenzen hinweg
Derzeit forscht das Berliner Team in drei Richtungen: Zum einen will die Gruppe die pharmakologischen Modelle für die HIV-Präexpositionsprophylaxe mit den derzeit zugelassenen Medikamenten Truvada und Descovy verbessern. Zweitens sollen die mathematischen Methoden weiterentwickelt werden, damit sie schneller werden und beispielsweise in Form einer App bei der Entscheidung über eine individuell zugeschnittene Prophylaxe helfen können. Drittens schließlich modellieren die Forschenden eine sogenannte „Next-Generation PrEP“, die langfristig wirksam ist und schon nach einmaliger Gabe über mehrere Monate vor einer Infektion schützen kann.
Am RKI arbeitet das Team u. a. mit Professor Dr. Dirk Brockmann zusammen, dessen Forschungsgruppe sich mit der epidemiologischen Modellierung von Infektionskrankheiten beschäftigt. Darüber hinaus besteht eine enge Kooperation dem US-amerikanischen Johns Hopkins Institut, der Harvard Medical School und der Weltgesundheitsorganisation WHO. Gemeinsam mit anderen Expertinnen und Experten berät das Berliner Team die WHO zu Empfehlungen der Aids-Prophylaxe in Risikogruppen.
Über die Richtlinie zur Förderung von Nachwuchsgruppen in der Infektionsforschung unterstützt das Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) das Projekt „Trans-PrEP“ mit rund 1,3 Millionen Euro. Ziel dieser Fördermaßnahme ist es, die Karriere qualifizierter Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler in der klinischen und anwendungsorientierten Infektionsforschung gezielt zu fördern und die wissenschaftliche Basis in der Infektionsforschung in Deutschland zu stärken.