Forschung an frühen Embryonen und Zellstrukturen aus dem Labor bietet neue Perspektiven für Gesundheitsforschung und Medizin. Gleichzeitig stellen sich ethische Fragen. Eine vom BMBF ausgerichtete Fachkonferenz dient kritischer Reflexion und Debatte.
9.-10. Oktober 2023, bcc Berlin Congress Center, Alexanderstraße 11, 10178 Berlin
Die Fachkonferenz (9.-10. Oktober 2023 im bcc in Berlin) verfolgt das Ziel, die Perspektiven der modernen Medizin im Hinblick auf die Forschung mit frühen humanen Embryonen in vitro und anderen neuartigen Zellstrukturen in wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Hinsicht neu zu reflektieren. Sie soll die wissenschaftlichen Möglichkeiten und Perspektiven für die verschiedenen Bereiche der medizinischen Forschung aufzeigen, internationale Ansätze, unterschiedliche Sichtweisen sowie Rahmenbedingungen darstellen und so neue Impulse für die Diskussion der ethischen und rechtlichen Fragen geben.
Zur Konferenz werden Teilnehmende aus dem In- und Ausland aus Wissenschaft, Gesellschaft und Politik erwartet. Die Teilnahme ist kostenlos.
Eine Anmeldung ist erforderlich, bitte registrieren Sie sich hier.
Programm in englischer Sprache
ELSA-Forschung
Die dynamischen Entwicklungen in den modernen Lebenswissenschaften führen zu neuen Chancen und Perspektiven für die Forschung und für den Menschen. Sie werfen aber auch neue Fragen auf, die im gesellschaftlichen Austausch geklärt werden müssen. Diesen Dialog über Fachdisziplinen hinweg fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über die ELSA-Forschung, die sich mit ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten („Ethical, Legal and Social Aspects“) aktueller Fortschritte in den modernen Lebenswissenschaften auseinandersetzt. Ziel der ELSA-Forschung ist es, die mit Erkenntnissen der modernen Lebenswissenschaften verbundenen Chancen und Risiken zu erkennen, zu bewerten und Handlungsoptionen zu entwickeln. Das BMBF hat die Bedeutung der ELSA-Forschung früh erkannt. Seit 1997 fördert das Ministerium die ELSA-Forschung programmatisch, derzeit mit rund 4,5 Millionen Euro pro Jahr.
Sollte das Potenzial der Forschung auch in Deutschland erschlossen und nutzbar gemacht werden?
Die Verwendung von humanen Embryonen, humanen embryonalen bzw. pluripotenten Stammzellen sowie einer Reihe von im Labor generierten Zellen und Zellgebilden wie zum Beispiel Organoide, oder Embryoide, ermöglicht es, viele offene Fragen im Bereich der medizinisch-biologischen Grundlagenforschung, der angewandten medizinischen Forschung, der personalisierten und regenerativen Medizin sowie der Reproduktionsmedizin zu untersuchen.
Daraus ergeben sich Herausforderungen für den ethischen Diskurs und die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen, die in Deutschland derzeit vor allem durch das Embryonenschutzgesetz und das Stammzellgesetz bestimmt werden: Wie kann das Potenzial der Forschung erschlossen und nutzbar gemacht und gleichzeitig ethischen und rechtlichen Bedenken Rechnung getragen werden?
Viele Methoden der modernen Lebenswissenschaften (wie etwa die Genom-Editierung, Hochdurchsatzverfahren und Einzelzellanalyse) eröffnen der Embryonenforschung völlig neue Erkenntnisdimensionen. Dies ist insbesondere für die regenerative und personalisierte Medizin sowie für die Behandlung von Erbkrankheiten und Volkskrankheiten wie Diabetes, Arthrose, Herzinfarkt oder Schlaganfall sowie Krebs von hoher Bedeutung. Gleichzeitig ist die frühe Embryonalentwicklung des Menschen noch immer in Teilen ungeklärt, insbesondere mit Blick auf die Entstehung von Entwicklungsstörungen und ihre Ursachen. Aufgrund der Regelungen des deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESchG) ist die Forschung an und mit humanen Embryonen in Deutschland ebenso wie die Beteiligung an entsprechenden Vorhaben im Ausland grundsätzlich verboten.
Wesentliche Erkenntnisse zu Volkskrankheiten können durch die Erforschung und Nutzung humaner embryonaler Stammzellen (hES-Zellen) generiert werden. Gleichzeitig bietet diese Forschung die Möglichkeit Therapieansätze zu entwickeln.
Von Seiten der in Deutschland tätigen Stammzellforscher und Stammzellforscherinnen wird zunehmend kritisch angemerkt, dass hierfür nur Zelllinien zur Verfügung stehen, welche im Ausland vor dem 1. Mai 2007 erzeugt wurden. Diese seien für zeitgemäße Forschung nur bedingt geeignet, da die Zelllinien z.T. unterschiedliche genetische und epigenetische Abweichungen angehäuft hätten, in veralteten Medien kultiviert wurden und teilweise mit Krankheitserregern kontaminiert sein könnten. Für klinische Studien seien sie somit praktisch ungeeignet. Ferner wurde von Forschenden in diesem Zusammenhang der im Stammzellgesetz enthaltene Forschungsvorbehalt, d.h. das Verbot der Nutzung von hES-Zellen außerhalb des Forschungskontextes, wiederholt im Hinblick auf seine negativen Effekte für die Entwicklung von neuartigen Therapien im deutschen Forschungsraum problematisiert.
Die Forschung mit pluripotenten Stammzellen ist auch auf die Entwicklung von im Labor gewonnenen humanen Zellgebilden gerichtet, die ihren natürlichen „Vorbildern“ im Hinblick auf ihr Entwicklungspotenzial zunehmend ähneln (Organoide, künstliche Ei-/Samenzellen, embryoähnliche Strukturen). Die bisherigen Regelungen sind für solche Zellgebilde nicht konzipiert worden.
Stellungnahmen aus der Wissenschaft sowie von Ethik- bzw. Sachverständigengremien (insbesondere der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Bundesärztekammer, des Deutschen Ethikrates und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, BBAW) haben in den vergangenen Jahren die Potenziale und Herausforderungen im Hinblick auf die Stammzell- und Embryonenforschung aufgezeigt und insbesondere auch die in vielen anderen Ländern bestehenden Forschungsmöglichkeiten und deren Weiterentwicklung dargestellt.
Insbesondere die Stellungnahme der Leopoldina „Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland“ (2021) verdeutlicht die große Bedeutung für weite Gebiete der medizinisch-biologischen Forschung, von der entwicklungsbiologischen Grundlagenforschung und der Fortpflanzungsmedizin bis hin zur regenerativen und personalisierten Medizin. Diese legt auch dar, unter welchen Bedingungen nicht mehr anderweitig verwendete, „überzählige“ Embryonen auch in Deutschland im Rahmen von geordneten und transparenten Verfahren für hochrangige Forschungsziele genutzt werden könnten.
Die vom BMBF ausgerichtete Fachkonferenz greift insbesondere die Stellungnahme der Leopoldina auf und lädt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu ein, die Perspektiven der modernen Medizin vornehmlich im Hinblick auf die Stammzell- und Embryonenforschung in wissenschaftlicher, ethischer und rechtlicher Hinsicht grundlegend und differenziert zu reflektieren, sowie mögliche Optionen für Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen zu diskutieren.
Bestehender Rechtsrahmen setzt der Forschung enge Grenzen
Durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) und das Stammzellgesetz (StZG) sind neben der Forschung an und mit humanen Embryonen eine Reihe der in der internationalen medizinischen Forschung unter Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen genutzten Verfahren in Deutschland grundsätzlich verboten oder werden von den bestehenden – vor Jahrzehnten entwickelten – Rechtsnormen nicht eindeutig adressiert. Dadurch werden die Erforschung und Entwicklung neuer Behandlungsmethoden und Therapeutika in Deutschland erschwert, mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet oder teilweise auch unmöglich gemacht. Darüber hinaus wird die internationale Zusammenarbeit deutscher Forschender rechtlich und praktisch eingeschränkt. Damit verlieren deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem spezifischen Feld den Anschluss an die internationale Forschung.
Impulse für die Forschung und eine breite gesellschaftliche Debatte
Es besteht ein breiter Konsens, unabhängig von gesetzlichen Einschränkungen bzw. Verboten, die internationalen Forschungsergebnisse in Deutschland nicht erlaubter Verfahren gleichwohl für medizinische Forschung und Behandlung zu nutzen.
So dürfen die auf Embryonenforschung im Ausland beruhenden Methoden und Verbesserungen der Fortpflanzungsmedizin – soweit erlaubt – auch in Deutschland genutzt werden. Darüber hinaus dürfen beispielsweise humane embryonale Stammzellen nicht in Deutschland gewonnen werden, jedoch dürfen Forschende solche verwenden, die vor dem 1. Mai 2007 im Ausland gewonnen wurden.
Mit der Konferenz möchte das BMBF vor dem Hintergrund der dynamischen wissenschaftlichen Entwicklungen in diesem Bereich die neue Impulse für einen bioethischen Diskurs erarbeiten, um den Bedarfen der Forschung und medizinischen Anwendung sowie den damit verbundenen rechtlichen und ethischen Belangen gleichermaßen gerecht zu werden.
Die vom BMBF ausgerichtete Fachkonferenz soll dazu beitragen, neue Einsichten in frühe Formen des menschlichen Lebens zu gewinnen und Impulse für eine zeitgemäße medizinische Forschung und den rechtlich-ethischen Diskurs zu setzen. Zugleich soll damit ein informierter und breiter gesellschaftlicher Austausch ermöglicht werden.