Interdisziplinäre Fachkonferenz des BMBF zur Verwendung von humanen Embryonen in der medizinischen Forschung – Bericht
Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung (BMBF), eröffnete am 9. Oktober 2023 die zweitägige Konferenz und lud zu einer kritischen Reflexion und Debatte über Perspektiven und ethische Fragen zur Embryonen- und Stammzellforschung einschließlich der Forschung mit neuartigen Zellstrukturen ein. Dieser Einladung nach Berlin folgten rund 180 Expertinnen und Experten verschiedener Fachdisziplinen, Vertreterinnen und Vertreter der Politik und der Medien sowie verschiedener Patientengruppen und interessierte Bürgerinnen und Bürger.
Mit der Konferenz hat das BMBF die Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina von 2021 zur Forschung an frühen Embryonen in vitro aufgegriffen, um neue Impulse für die öffentliche und politische Diskussion der ethischen und rechtlichen Fragen zu gewinnen.
Aktuell hat ein Paar in Deutschland die Wahl, „überzählige“ Embryonen nach einer abgeschlossenen In-Vitro-Fertilisationsbehandlung zu „verwerfen“, d. h. vernichten zu lassen, oder zur Adoption freizugeben. Die Embryonenadoption ist dabei in Deutschland die Ausnahme.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, den „elektiven Single Embryo Transfer“ (eSET) bei einer In-vitro-Fertilisation (IVF) im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung künftig zuzulassen, vgl. auch Stellungnahme der Leopoldina von 2019 zur Fortpflanzungsmedizin. Bei der eSET-Methode werden gezielt mehrere Eizellen befruchtet, aber nur der sich am besten entwickelnde Embryo wird zur Übertragung auf die Frau ausgewählt. Hierdurch entstehen „überzählige“ Embryonen, über deren Verwendung das Paar nach dem Abschluss der Kinderwunschbehandlung entscheiden muss.
Die Forschung mit (überzähligen) frühen humanen Embryonen könnte entscheidend dazu beitragen, Krankheiten besser zu verstehen und zu behandeln. Die Verwendung von (überzähligen) Embryonen in vitro für die Forschung ist derzeit in Deutschland durch das seit 1990 geltende Embryonenschutzgesetz (ESchG) verboten, in vielen anderen Ländern jedoch innerhalb enger Grenzen erlaubt.
Die Konferenz gab Einblicke in die aktuellen wissenschaftlichen Möglichkeiten und Perspektiven der Forschung mit frühen humanen Embryonen und pluripotenten Stammzellen für verschiedene Bereiche der Medizin. Zudem wurden die seit Jahrzehnten bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland für die Embryonen- und Stammzellforschung reflektiert.
Stark-Watzinger sprach sich in ihrer Eröffnung dafür aus, die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) und des Stammzellgesetzes (StZG) neu zu prüfen und zu bewerten, um den raschen Entwicklungen in diesem Forschungsbereich gerecht zu werden. Denn die Forschung mit frühen humanen Embryonen und Stammzellen könne helfen, Krankheiten besser zu verstehen und zu behandeln. Entsprechend lud sie zu einer lösungsorientierten Debatte entlang bewährter ethischer Leitplanken ein. Ihre Forderung nach einem zeitgemäßen Umgang mit dem Thema wurde vom Präsidenten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald H. Haug, bekräftigt.
In einem Grußwort betonte Haug, dass die Lebenswirklichkeit nicht außer Acht gelassen werden dürfe - dass man heute in der Medizin von der Forschung profitiere, die in Deutschland selbst nicht möglich sei. Es sei zu überdenken, ob es künftig auch in Deutschland möglich sein sollte, dass ein Paar, die bei einer Kinderwunschbehandlung gewonnenen, aber nicht genutzten „überzähligen“ Embryonen für hochrangige Forschungsziele zur Verfügung stellen kann.
Den ersten Tag der Veranstaltung eröffnete Bundesministern Stark-Watzinger. Sie betonte das Ziel, die Gesundheitsforschung in Deutschland zum Wohl der Menschen bestmöglich aufstellen zu wollen. Sie lud zur offenen Diskussion darüber ein, inwieweit es möglich sein sollte, neue diagnostische, präventive oder therapeutische Verfahren zu entwickeln und einzusetzen, auch im Sinne des international kooperierenden Forschungsstandortes Deutschland.
Die Forschung habe das Potenzial der humanen Embryonenforschung für Erkenntnisse zur menschlichen Entwicklung und Fortpflanzungsmedizin bis hin zur personalisierten und regenerativen Medizin erkannt. Die Wissenschaft fordere schon seit einigen Jahren eine Neubewertung der deutschen Rahmenbedingungen, die nun auf den Prüfstand gehörten.
Stark-Watzinger betonte das hohe Gut der Forschungsfreiheit, das nur aus guten Gründen beschränkt werden dürfe.
Daher sei es an der Zeit, neu zu prüfen und zu bewerten, ob und nach welchen Regeln Forschende in Deutschland frühe humane Embryonen in vitro, embryonale Stammzellen und andere neuartige Zellstrukturen nutzen dürfen. Sie lud die Teilnehmenden dazu ein, mutig, vernünftig und wissenschaftlich fundiert Handlungsempfehlungen für Politik und Gesellschaft zu diskutieren.
Haug wies in seinem Grußwort darauf hin, dass sich der Stand der Wissenschaft seit der Verabschiedung des Embryonenschutzgesetzes vor über 30 Jahren erheblich weiterentwickelt habe. Daher habe sich die Leopoldina in ihrer Stellungnahme 2021 für einen „zeitgemäßen Umgang mit menschlichen Embryonen in vitro“ ausgesprochen und skizziert, wie dieser zeitgemäße Umgang aussehen könnte. Es sei „für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft eine der schwierigsten Herausforderungen, Kompromisse zu hochumstrittenen Fragen zu finden“, so Haug. Für die politische Debatte sei aber vor allem die Lebenswirklichkeit vieler Menschen relevant, die von Erkenntnissen in der Medizin – insbesondere der Forschung an frühen humanen Embryonen in vitro – profitierten, die in Deutschland aktuell nicht erlaubt sei. Dies sei aktuell umso relevanter, da der Koalitionsvertrag Neuerungen bei der Fruchtbarkeitsbehandlung vorsehe, die zu einer größeren Zahl überzähliger Embryonen führen könne. Überzählige Embryonen dürften aber aktuell nicht für hochrangige Forschungsziele gespendet werden, sondern müssten, nachdem die Kinderwunschbehandlung abgeschlossen sei, verworfen werden, wenn keine Embryoadoption, also die Weitergabe an ein anderes Paar mit Kinderwunsch, zustande komme.
Interdisziplinäre Einführung in die Thematik
In ihrer Keynote erläuterte die Entwicklungsbiologin Maria Leptin, die Zellbiologie der frühesten embryonalen Entwicklungsstadien. Sie betonte, dass auch die Forschung mit und an frühen humanen Embryonen und humanen Embryomodellen in vitro für ein grundlegendes Verständnis von Krankheiten und für medizinische Anwendungen am Menschen unabdingbar sei. Hierfür brauche es einen klaren regulatorischen Rahmen und ethische Leitlinien.
Zu den gesellschaftlichen, ethischen und rechtlichen Spannungsfeldern, die mit einer möglichen Liberalisierung der Embryonen- und Stammzellforschung einhergehen, präsentierte die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert aktuelle Umfrageergebnisse, die nahelegen, dass ein Interesse für eine Spende von Embryonen für die Forschung in Deutschland durchaus vorhanden sei. Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann regte an, dass Kinderwunschpaare als mündige Bürger entscheiden dürfen sollten, ob sie ihre überzähligen Embryonen der Forschung spenden wollten, wenn die Alternative wäre, sie zu verwerfen. Der Rechtswissenschaftler Jochen Taupitz skizzierte, wo im Gesetz Unschärfen durch die Fortschritte in der Forschung entstanden sind und wo konkreter Überarbeitungsbedarf bestünde.
Leptin stellte einen Überblick über die zellbiologische Grundlagenforschung vor. Sie erläuterte grundlegende Sachverhalte, wie beispielsweise das Konzept eines „Modells" in der biologischen Forschung. Sie verdeutlichte, wie wichtig die wissenschaftliche Entdeckungslust der Forschenden sei, um Fortschritte zu erzielen. Biologische Prozesse müssten verstanden und Unterschiede zwischen Menschen und anderen tierischen Modellorganismen aufgeklärt werden, damit Behandlungsmöglichkeiten für den Menschen bzw. für eine Therapie erarbeitet werden könnten. Leptin erläuterte dies an Beispielen aus den Laboren von Kikuë Tachibana, Max-Planck-Instituts für Biochemie, und Melina Schuh, Max-Planck-Instituts für Interdisziplinäre Naturwissenschaften, an, die Erkenntnisse gewinnen konnten, wieso Eizellen altern und wieso es zu Chromosomen-Fehlverteilungen während der Zellteilung kommt.
In ihrer Funktion als Präsidentin des Europäischen Forschungsrates stellte sie noch einmal heraus, dass es in Europa zwar unterschiedliche Rahmenbedingungen gebe, die Forschung aber allen europäischen Bürgerinnen und Bürgern zu Gute komme.
Schöne-Seifert stellte die medizinethischen Perspektiven zum Konferenzthema dar. Sie erinnerte daran, dass Fragen der Schutzwürdigkeit von Embryonen (in ihren verschiedenen entwicklungsbiologischen Phasen) nicht nur für die Forschung von zentraler Bedeutung seien, sondern auch für Schwangerschaftsabbrüche und vorgeburtliche Selektion. Für all diese Kontexte sollten ethische Handlungsnormen für den Umgang mit Embryonen übergreifend nachvollziehbar, stimmig und plausibel begründet sein. In der Forschung nun, soweit sie international praktiziert werde, gehe es um Embryonen in der Frühphase ihrer ersten 14 Entwicklungstage – wobei eine längere Kultivierung unter Laborbedingungen bisher auch technisch nicht möglich gewesen sei. In diesem Anfangsstadium seien Embryonen noch sehr weit von äußerer Menschen-ähnlichkeit sowie von jeglicher Empfindungs- oder sonstiger Bewusstseinsfähigkeit entfernt. Dies gelte erst recht für neuerlich entwickelte Forschungsentitäten wie Embryoide, Embryomodelle u. a..
Die Kontroverse über die ethische Verbotswürdigkeit oder Zulässigkeit solcher Forschung lasse sich, so Schöne-Seifert, keineswegs als Disput zwischen jenen darstellen, die embryonale Schutzrechte ernstnähmen, und jenen, die hier zugunsten der Forschung ein paar Abstriche akzeptierten. Vielmehr machten auch Forschungsbefürworter (wie sie selbst) ethische Argumente geltend: Die moralischen Kosten, die ein Forschungsverbot für Wissenschaft, Patienten und Forscher nach sich zöge, seien (zu) hoch, während die Schutzargumente, nicht zuletzt das prominente Potenzialitätsargument, sich nicht als konsensual plausibel erweisen würden.
Abschließend präsentierte Schöne-Seifert Ergebnisse einer neuen Umfrage, welche die pluralen Auffassungen der Bevölkerung über die Verwendung humaner Embryonen in der Forschung deutlich widerspiegele: Jeweils 20-30% der Befragten seien dem Embryonenschutz und der Embryonenspende für die Forschung gegenüber sehr positiv oder aber sehr negativ eingestellt. Das Fazit der Medizinethikerin lautete: „Wir haben hier wirklich alle Gründe […] [hinsichtlich des in unserem Land bestehenden Forschungsverbots] neu zu überlegen und neu zu diskutieren.“
Wiesemann umriss die gesellschaftliche Perspektive zum Konferenzthema und verwies dabei auf das erste deutsche durch künstliche Befruchtung gezeugte IVF-Baby, das 1982 geboren wurde. Der sich damals entwickelnde kritische Diskurs über möglichen Missbrauch und dystopische Szenarien war aus ihrer Sicht die Grundlage für die strikte Gesetzgebung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG). Mit der weltweiten Weiterentwicklung der Befruchtungs-Technik hätten sich jedoch auch neue Felder eröffnet für embryologische Grundlagenforschung und reproduktionsmedizinische Anwendungen, wie die Kryokonservierung, Spermieninjektion (ICSI), Präimplantationsdiagnostik und die Übertragung von einem einzelnen ausgewählten Embryo, dem elective single embryo transfer (eSET). So konnten Infertilität, Schwangerschafts- und Frühgeburtenraten deutlich verringert werden. Wiesemann merkte an, es gebe „neben dem zu Recht geächteten Missbrauch der Forschung äußerst sinnvolle, weil dem Erhalt des Lebens, der Verbesserung der menschlichen Fortpflanzung und der Vergrößerung des Wissens über Gesundheit und Krankheit dienende Forschung“, von der auch Deutschland profitiere.
Sie plädierte für eine Neujustierung der deutschen Sicht auf die Embryonenforschung und des moralischen Status des Embryos. Hierbei müsse auch die Perspektive von Wunscheltern berücksichtigt werden. Das geltende ESchG erlaube Paaren nur die Kryokonservierung, das Verwerfen oder das Spenden der überzähligen Embryonen. Wiesemann wies darauf hin, dass sich nicht wenige solcher Paare auch die Möglichkeit wünschten, nicht mehr benötigte Embryonen für die Forschung spenden zu können.
Taupitz stellte dar, dass Deutschland zurzeit kein zeitgemäßes Gesetz zur Regelung der Fortpflanzungsmedizin habe. Das über 30 Jahre alte Embryonenschutzgesetz (ESchG) von 1990 und das Stammzellgesetz (StZG) aus dem Jahr 2002 bzw. 2008 seien in sich und untereinander wenig konsistent. Das ESchG solle zwar die Herstellung überzähliger Embryonen und deren Missbrauch verhindern, könne diese dennoch nicht umfassend schützen. Das Sterbenlassen oder gar aktive Verwerfen überzähliger oder genetisch erkrankter Embryonen sei in vielen Fällen mangels Alternativen unvermeidlich. Verbotswidrig erzeugte Embryonen müssten sogar verworfen werden.
Das StZG wiederum regele die Einfuhr und Verwendung von embryonalen Stammzellen. Das Problem für deutsche Forschende liege darin, dass die embryonalen Stammzelllinien, die importiert werden dürfen, wegen der geltenden deutschen Stichtagsregelung (1. Mai 2007) hinsichtlich der Gewinnung und Kultivierung längst nicht mehr dem heutigen Standard der Forschung entsprächen. Zudem unterbinde das geltende deutsche Recht internationale Forschungskooperationen.
Zusätzlich führten die neuesten Entwicklungen in der Embryonen- und Stammzellforschung wie z.B. Embryoide und embryoähnlichen Zellstrukturen zu der Frage „Was ist überhaupt ein Embryo?“. Diese Entwicklungen zeigten die Lücken im deutschen Gesetz deutlich auf. Für ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz sei aus verfassungsrechtlicher Sicht das Gebot der Abwägung zu berücksichtigen. Zwischen den grundrechtlichen Schutzpflichten für die Menschenwürde, dem Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit und körperlicher Unversehrtheit sowie der Freiheit von Wissenschaft und Forschung müsse ein angemessener Ausgleich gefunden werden.
Fachvorträge und Diskussionen
Zentrales Element der Konferenz waren komprimierte Fachvorträge aus den Naturwissenschaften und der Medizin sowie aus rechtlicher und geisteswissenschaftlicher Sicht. Dabei richtete sich der Blick auf die Chancen und Potenziale sowie die ethischen und rechtlichen Limitationen bzw. Herausforderungen für die Embryonenforschung in vitro (-> Session 1). Darüber hinaus wurde die Forschung mit humanen pluripotenten Stammzellen und neuartigen Zellstrukturen (z. B. Embryoide) beleuchtet (-> Session 2).
Die Expertinnen und Experten stellten dar, wie viele Erkenntnisse bereits jetzt der internationalen Embryonenforschung zu verdanken sind und wie diese stetig Eingang auch in die medizinische Versorgung finden, so z. B. bei der In-Vitro-Fertilisation. Die Embryonenforschung ist aber auch die Grundlage für die Stammzellforschung, da neue Zelllinien aus Embryonen gewonnen werden. Für die Stammzellforschung zeigten Forschende die Perspektiven für medizinische Anwendungen auf, z. B. die Entwicklungen im Bereich der Zelltherapeutika und bei regenerativen Therapien. Dabei wurden jeweils die Vor- und Nachteile von humanen embryonalen bzw. induzierten pluripotenten Stammzellen für die jeweilige Zielsetzung dargestellt.
Die Potenziale der Verwendung von Embryonen für die Forschung und für medizinische Anwendungen und die Limitationen, mit denen die Forschenden hierzulande konfrontiert sind, waren zentrale Themen des ersten Konferenztages. Es wurde deutlich, dass die bestehenden Regelungen insbesondere in Bezug auf die Embryonenforschung die Wissenschaft in Deutschland einschränke und internationale Kooperationen verhindere.
Auch wurden die unterschiedlichen Rahmenbedingungen für die Forschenden im Ausland erläutert, innerhalb derer sie Forschung an und mit humanen Embryonen durchführen können. Hier wurde deutlich, dass sich die moderne und zeitgemäße medizinische Versorgung in Deutschland um Jahre verzögere, selbst wenn Deutschland vom Fortschritt anderer Länder profitieren kann. Damit könnten Forschung und Politik ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft kaum gerecht werden.
Niakan vermittelte einen Einblick, welche wissenschaftlichen Ergebnisse mit der Forschung an humanen Embryonen gewonnen werden können. Sie stellte einige Forschungsfragen ihres Labors vor. Ihr großes Interesse gelte der Frage, wie sich aus einer befruchteten Eizelle die drei Zelltypen ausbilden, die in den ganz frühen Embryonalstadien den Embryo und die Plazenta definieren. Hier habe ihr Labor relevante Transkriptionsfaktoren identifizieren können und Unterschiede zwischen den molekularen Programmen verschiedener Spezies festgestellt. Durch das gezielte An- und Ausschalten verschiedener Faktoren in Laborversuchen konnten Biomarker aufgedeckt werden, die die erfolgreiche Entwicklung von künstlich befruchteten Embryonen verbessern. Das unterstreiche die Wichtigkeit der Forschung an humanen Embryonen. Zudem erläuterte sie die britischen Rahmenbedingungen, innerhalb derer in Großbritannien Forschung an und mit humanen Embryonen betrieben werden darf. Dabei betonte sie das Erfordernis hochrangiger Forschungsziele für die Zulässigkeit der Forschung. Niakan zeigte auf, dass sie verschiedene vielversprechende Forschungsfragen und -techniken mit führenden Arbeitsgruppen in Deutschland nicht verfolgen könne, da die aktuelle deutsche Gesetzeslage dies verbiete. Dazu zähle beispielsweise die Gruppe um Ellenberg am EMBL. Dies verlangsame den Fortschritt der Wissenschaft erheblich, sowohl in Deutschland als auch an all jenen Standorten, welche die Zusammenarbeit gern nutzen würden.
Clark erläuterte, auf welche Weise die Forschung an humanen Embryonen in vitro in ihrem Labor möglich sei. Sie beschrieb, wie sie und ihre Mitarbeitenden in Kontakt mit Paaren kommen, die sich einer Kinderwunschbehandlung unterziehen und wie diese Paare über die Forschung und die Spende der überzähligen Embryonen aufgeklärt werden. Sie stellte auch die regulatorischen und ethischen Gremien, die ihre Forschung genehmigen müssten und die Art wie ihre Forschung kontrolliert wird, vor.
Ein großer Teil von Clarks Forschung widme sich der Entwicklung des reproduktiven Systems und dessen Störungen, die meist eine Unfruchtbarkeit bedingen. Die von ihr gewonnenen Erkenntnisse trügen dazu dabei, künstliche Befruchtungen zu verbessern.
In ihrem Labor würden aber auch neue humane embryonale Stammzelllinien gewonnen, die weiterhin in der Forschung als Goldstandard gelten. Eines der Ziele in ihrer Arbeitsgruppe sei es, ein Eizellen-Modell zu entwickeln und so zu verstehen, wie Eizellen auch in fortschreitendem Alter der Frau erhalten werden könnten.
Als ehemalige Präsidentin der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung, ISSCR, führte Clark zudem auch die unterschiedlichen Regulationen für verschiedene Embryomodelle aus.
Ellenberg führte aus, dass deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit vorenthalten bleibe, sich aktiv in viele Forschungsfragen zur menschlichen Embryonalentwicklung einzubringen. Weder die in Deutschland entwickelten Technologien, noch die Entwicklungsbiologinnen und -biologen in Deutschland dürften in Projekten mit Embryonenforschung eingesetzt werden. Als konkretes Beispiel führte er ein im EMBL entwickeltes Verfahren der Lichtblatt-Mikroskopie an, das international auf großes Interesse stoße. Diese Mikroskopie-Technik dürfe nur in Labortieren oder landwirtschaftlichen Tieren, nicht aber in der humanen Embryonenforschung angewendet werden – auch wenn diese Arbeiten im Ausland stattfinden. Denn bereits eine Zusammenarbeit auf technologischem oder methodischem Level sei hierzulande verboten, obwohl rechtliche und ethische Überprüfungen der anderen Länder eingehalten würden.
Ellenberg machte deutlich, dass Einschränkungen der Forschungsfreiheit in Bezug auf das Forschungsfeld und die internationalen Kooperationen nicht nur den Standort Deutschland benachteiligten, sondern auch eine moderne und zeitgemäße medizinische Versorgung in Deutschland um Jahre verzögere, so z. B. bei der Identifizierung und Behandlung genetischer Erkrankungen, Geburtsfehler, oder der Nutzung von embryonalen Zellen für die regenerative und personalisierte Medizin.
Er betonte, dass der Wissenschaft ein hohes Maß an Verantwortung zukomme und man erörtern müsse, für welche Ziele Embryonenforschung, auch in Deutschland notwendig sei.
Die Rechtswissenschaftlerin Bartha Knoppers stellte vor, welche Rechtsinstrumente in verschiedenen Ländern eingesetzt werden, um Embryonenschutz zu regeln. Sie hob exemplarisch verschiedene einzelstaatliche Regelungen hervor, um sie der deutschen Regelung gegenüberzustellen. In diesem Spannungsfeld gelte es abzuwägen, welcher Rechts- und Würdeschutz in verschiedenen Kulturkreisen dem Embryo zugeschreiben wird. Ein Appell, die auch bei der überwiegenden Mehrheit im interdisziplinären Plenum breiten Zuspruch fand, lautete, dass eine Anpassung des Embryonenschutzgesetzes unter Einbeziehung der Gesellschaft erforderlich sei. Es sei die Verantwortung des Gesetzgebers, seinen Gestaltungsspielraum sinnvoll zu nutzen.
Die Verfassungsrechtlerin Friederike Wapler stellte den verfassungsrechtlichen Rahmen dar, innerhalb dessen der Gesetzgeber das Recht gestalten darf. Verschiedene Rechtsgüter müssten hierbei gegeneinander abgewogen werden, so beispielsweise auch die Forschungsfreiheit und der Embryonenschutz. Dabei könne der (hochrangige) Zweck der Forschung, ähnlich wie für Stammzellen, als Maßstab angelegt werden.
Knoppers stellte die Vielfalt der rechtlichen Ansätze und Verwaltungsstrukturen zum Umgang mit humanen Embryonen in vitro auf internationaler, regionaler und nationaler Ebene dar. Dabei ging sie u. a. auf die Bioethik-Konvention (Oviedo – Konvention) des Europarates ein. Knoppers bildete auch die Breite der rechtlichen Möglichkeiten in der Tiefe der Regelungen ab – so sei eine Definition des Embryos z.B. in Deutschland, Österreich und Spanien, im Gesetz verankert, die sei aber kein Muss, wie das Beispiel von Großbritannien gelungen vorführe.
Als Besonderheit stellte sie zudem die USA heraus, weil hier Embryonenforschung per se nicht verboten sei, aber z.B. die staatliche Förderung mit Bundesmitteln explizit ausgeschlossen ist.
Im weiteren Verlauf erläuterte sie, dass die unterschiedlichen Regelungen zur Forschung an humanen Embryonen vor allem auf unterschiedliche historische, soziale und politische Einflüsse zurückzuführen seien. Diese Unterschiede wirkten sich sowohl auf ihre Zulässigkeit als auch auf die damit verbundenen Sanktionen aus. Dies belegte Knoppers anhand verschiedener Beispiele aus Kanada, aber auch China, Südkorea und einigen europäischen Ländern.
Wapler führte aus, dass das deutsche Verfassungsrecht nur einen groben Rahmen vorgebe, innerhalb dessen der Gesetzgeber das Recht gestalten darf. Das Grundgesetz könne daher gerade in ethisch komplexen und gesellschaftlich umstrittenen Fragen keine eindeutige Antwort geben, sondern vielmehr nur grundsätzliche Leitplanken bestimmen. Entsprechend seien im Zusammenhang mit der Forschung an humanen Embryonen nicht nur die Reichweite des verfassungsrechtlichen Status des vorgeburtlichen menschlichen Lebens bzw. einer entsprechenden staatlichen Schutzpflicht nachhaltig umstritten, sondern auch die rechtlichen Maßstäbe für eine Regulierung.
Wapler stellte den verfassungsrechtlichen Meinungsstand zum Umgang mit vorgeburtlichem menschlichem Leben dar und zeigte auf, welche Gestaltungsspielräume sich dem Gesetzgeber für die Forschung in diesem Bereich eröffnen. Zentraler Aspekt sei insbesondere die Begründung, warum Embryonen für die Forschung gebraucht werden, um den Schutz des Embryos mit der Hochrangigkeit bestimmter Forschungsziele ins Gleichgewicht bringen zu können.
Dass das Grundgesetz hier keine eindeutigen Lösungen bereithielte, so Wapler, sei für sie als Verfassungsrechtlerin unproblematisch. Denn das Grundgesetz wolle eben genau eine offene demokratische Debatte ermöglichen.
Trilog und Podiumsdiskussion
Im Trilog diskutierten die Medizinethikerin Christiane Woopen, der Theologe Wolfgang Huber und der Philosoph Michael Quante die Herausforderungen eines Diskurses der Thematik in einer pluralistischen Gesellschaft. Pluralismus meint dabei die Vielfalt von gesellschaftlichen Meinungen, die durch unterschiedliche Kulturen und Erfahrungswelten geprägt sind. Im Hinblick auf das sensible Thema des Lebensbeginns sind die Herangehensweisen vielfältig. Es bestand Übereinstimmung, dass dies ein wichtiger Schritt in der Debatte sei, denn es müsse in unserer Gesellschaft ein „Streiten auf Augenhöhe" möglich werden. Dabei gehe es weniger um Konsens, als um die Toleranz, auch andere Perspektiven zu akzeptieren. Erforderlich dafür sei ein angemessener Rahmen, der Raum für Information und Meinungsäußerung biete. Letztlich sei eine nachvollziehbare Begründung der gesetzlichen Regelungen essenziell, d. h. unter Berücksichtigung einer belastbaren Sach- und Datengrundlage, aber auch unter Berücksichtigung alternativer Argumente. Wichtig sei es, auch Gegenpositionen und andere moralische Überzeugungen anzuerkennen, da ein friedvolles Nebeneinander verschiedener Überzeugungen in unserer Demokratie unbedingt möglich sein müsse.
Die anschließende Podiumsdiskussion zur Frage „Wollen wir diesen Fortschritt wagen?“ zielte in die gleiche Richtung. An ihr nahmen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen teil: die psychologische Psychotherapeutin Almut Dorn, die Paare mit Kinderwunsch betreut, Claudia Wiesemann, die zur Ethik von Elternschaft und Familie in der Fortpflanzungsmedizin forscht, und Alena Buyx, Medizinethikerin und Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Zudem der Philosoph Markus Rothhaar, der sich mit medizinethischen Fragen am Lebensanfang und Lebensende befasst, der Politikwissenschaftler Ulrich Willems, der u.a. zu Kulturen des Kompromisses forscht, sowie der Molekularbiologe Jan Ellenberg, der die Forschungsfreiheit in Deutschland stark eingegrenzt sieht, brachten weitere Perspektiven ein.
Es wurde diskutiert, wie mit der Meinungsvielfalt in unserer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft umzugehen sei. Wichtig sei es, diese Meinungsvielfalt bei Diskussionen zur Neuregelungen zur Embryonen- und Stammzellforschung abzubilden und Lösungen zu finden, die für alle akzeptabel sind. Dies müsse nicht bedeuten, dass ein Konsens angestrebt werden sollte, wohl aber ein Kompromiss, der die pluralistische Sicht als Basis anerkennt.
Almut Dorn, eine psychologische Psychotherapeutin, griff gleich zu Beginn der Frage des Moderators auf, wie groß die Bereitschaft von Paaren sei, einen Embryo, der eigentlich für die eigene Fortpflanzung nicht mehr gebraucht werde, der Wissenschaft zu überlassen. Hierzu hatte sie in ihrer Praxis den Realitätscheck gemacht: Sie befragte ihre Patientinnen individuell und erhielt ein sehr großes Spektrum von Antworten- von unvorstellbar, das sei schon das fantasierte Kind, bis selbstverständlich, denn das eigene Kind verdanke man auch der Forschung.
Dieser Eindruck deckte sich mit den aktuellen Umfrageergebnissen (vgl. hier), auf die auch die Ethikerin Claudia Wiesemann verwies, dass nämlich die Frage nach einer Embryonenspende zu Forschungszwecken heute nicht pauschal abgelehnt, sondern sehr differenziert betrachtet werde. Sie vermute, „wenn in der Bevölkerung noch klarer wäre, dass wir hier unter Umständen den Embryo besser schützen als einen viel weiter entwickelten Fetus in der Schwangerschaft, dann könnten wir vermutlich auch noch größere Zustimmungswerte zu Forschung in diesem sehr frühen Stadium erreichen“. Man müsse sich bewusst sein, dass der Zweck der Forschung keine „abenteuerliche Zukunftsforschung“ sei, sondern bereits heute reale Verbesserungen für das Überleben des Fetus bewirkt hat.
Der Philosoph und Medizinethiker Markus Rothhaar hielt der Kritik am Embryonenschutzgesetz entgegen, dass das Gesetz ein wichtiges Ziel, seiner Meinung nach erfolgreich, geregelt habe, nämlich künstliche Befruchtung möglichst nah bei der natürlichen zu belassen und dabei die Zahl der überzähligen Embryonen möglichst gering zu halten. Wenn es einmal überzählige Embryonen gebe, die nicht mehr für die In-vitro-Fertilisation eingesetzt werden sollen, stünde man vor dem gravierenden ethischen Dilemma, sie tatsächlich entweder auf alle Ewigkeit zu konservieren oder sie zu vernichten. Denn auch eine Nutzung für Forschungszwecke impliziere ihre Vernichtung. Daraus habe das Embryonenschutzgesetz richtigerweise die Schlussfolgerung gezogen, die Entstehung überzähliger Embryonen durch gesetzliche Regelung, wenn auch nicht vollständig zu verhindern, so doch nach Möglichkeit zu minimieren.
Alena Buyx wies als Vorsitzende des Deutschen Ethikrates (DER) auf einen Entscheidungsbaum hin, den der Ethikrat im Zuge seiner Stellungnahme zu Keimbahneingriffen in 2019 erarbeitet hatte. Hieraus ergebe sich: „Wenn wir Embryonenforschung zum Entwickeln von Antworten brauchen, ist sie nicht nur zulässig, sondern geboten“, so Buyx. Auch innerhalb des Ethikrats spiegelte sich die Pluralität der Meinungen im Lande wieder und nicht jeder stimmte der Empfehlung des DER im Einzelnen zu – jedoch sei der beste Weg, mit solchen Meinungsverschiedenheiten umzugehen, sie transparent zu machen.
Der Politikwissenschaftler Ullrich Willems bestätigte, dass so komplexe Konflikte sich schwer mit Mehrheitsentscheidungen lösen ließen. Willems stellte dar, dass eine Herausforderung von verschiedenen Kommissionen sei, dass sie den Dissens, die Verschiedenheit der Meinungen der Bevölkerung, reproduzierten. In manchen Fragen sei es aber schwerlich eine Option, sich in der Mitte zu treffen. Viel wichtiger sei es, auch die Minderheitsmeinungen inklusiv anzuerkennen und diesen auf Augenhöhe zu begegnen. In der Frage zur Embryonenforschung sei es nicht das Ziel, „in der Sache Recht zu behalten, sondern Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu sichern, die für alle einigermaßen akzeptabel sind und dem Konflikt seine Intensität und das Eskalationspotenzial nehmen“, so Willems. Dabei können die Sozialwissenschaften helfen, Lösungen zu finden.
Doch welche Art der Forschung soll denn überhaupt hier diskutiert werden? Ob ein Forschungsziel hochrangig sei, müsse laut dem Molekularbiologen Jan Ellenberg daran gemessen werden, dass das Ziel letztlich einen gesellschaftlichen Beitrag leiste. Er mahnte aber an, dass hier eine Einschränkung auf Forschung zur unmittelbaren medizinischen Anwendung zu kurz gedacht sei. Denn für viele Krankheiten sei es zunächst wichtig, die (z.B. genetischen) Grundlagen und Mechanismen zu verstehen. Entsprechend solle auch Grundlagenforschung beim Thema Hochrangigkeit nicht außen vor gelassen werden.
Mehrere Stimmen auf dem Podium sahen es als Problem an, dass in Deutschland in den letzten Jahren kaum eine offene Debatte stattfinden konnte. Die Wissenschaft könne oder dürfe kaum frei sprechen, weil es sich hier um explizit strafrechtlich verbotene Forschung handele, und auch die betroffenen Entscheidungsträgerinnen, Patientinnen der In-vitro-Fertilisation, stigmatisiert und marginalisiert würden. Die Diskussion gehöre aber in die Öffentlichkeit, so Wiesemann. Angesichts dessen, ergänzte Dorn, dass Patienten mit einer akuten Problematik oft die aktuellen Möglichkeiten der Medizin überschätzten, und ihnen nicht so umfassend geholfen werden könne wie erhofft. Daher sei es mehr als verständlich, dass sich daraus auch ein Wunsch ergebe, die Forschung irgendwo zu unterstützen.
Auf die provokative Frage, ob das aktuelle Verfahren, vom Fortschritt anderer Länder indirekt zu lernen, nicht ausreichend sei, schätzte Ellenberg: „Wir nutzen den immer mit fünf bis zehn Jahren Verspätung aufgrund von Erkenntnissen, die im Ausland gewonnen wurden“. Dies könne als Wissenschafts- und Technik-Nation nicht unser Anspruch sein.
Ellenberg und Dorn stimmten darin überein, dass die Menschen dorthin gingen, wo sie Hilfe finden. Konkretes Beispiel seien Erbkrankheiten, die durch Mitochondrienersatztherapie behandelt werden können, welche in Großbritannien zugelassen ist, nicht jedoch bei uns in Deutschland. Die rege Diskussion, zu der viele Teilnehmende beitrugen, zeigte einige fortbestehende Kontroversen auf, die sich rund um die Menschenwürde und den Embryonenschutzbegriff nicht auflösen ließen. Als breitere Meinung festigte sich jedoch, dass Deutschland als moralischer Trittbrettfahrer nicht dem Wunschbild der Diskutanten entspreche. Große Einigkeit und Zuversicht bestand auch darin, den gesellschaftlichen Diskurs weiter befruchten zu wollen, da die Diskussionen der letzten Jahre einen positiv beispielhaften Charakter hätten, wie gesellschaftliche Kompromisse gefunden werden könnten.
Abendvortrag: James F. Childress zu ethischen Prinzipien in der Forschung an humanen Embryonen
In seinem Abendvortrag stellte James Childress‚ US-amerikanischer Theologe und Medizinethiker, die vier Grundprinzipien der Bioethik vor (Wohltun/Wohltätigkeit, Schadensvermeidung, Gerechtigkeit, Respekt). Gemeinsam mit dem US-amerikanischen Moralphilosophen Tom Beauchamp entwickelte Childress das „Vier-Prinzipien-Modell“ der Medizinethik bereits 1979, das bei der Abwägung für oder gegen bestimmte medizinische Maßnahmen genutzt werden kann. In seinem Vortrag wandte er die Prinzipien auf die Forschung mit frühen humanen Embryonen und ihren Derivaten an. Das Konzept der vier Prinzipien fordere zu allererst Wohltun (beneficence), das heißt die Generierung von Vorteilen wie der Mehrung medizinischen Wissens und der Entwicklung wirksamer Therapien durch Forschung. Schaden, also schädliche Eingriffe, sollen vermieden werden (nonmaleficence). Das dritte Prinzip fordere Gerechtigkeit (fairness) bei der Gewichtung von Vor- und Nachteilen, Lasten und Kosten. Das Fairness-Prinzip kann z. B. angeführt werden, um moralisches „Trittbrettfahren“ zu kritisieren, nämlich wenn eine Gesellschaft humane Embryonenforschung verbiete, gleichzeitig aber die Vorteile des Wissens oder die Stammzelllinien, die durch die Forschung anderer geschaffen wurden, akzeptiere. Ein weiteres allgemeines Prinzip sei der Respekt vor der persönlichen Autonomie, der eine freiwillige, informierte Entscheidung untermauere. Diese freie Entscheidung von Paaren sei in der Frage der Spende überzähliger Embryonen für Forschungszwecke nicht zu vernachlässigen.
Die Entwicklungsbiologin Christine Mummery gab eine Einführung in die unterschiedlichen Typen von Stammzellen und stellte insbesondere die Einsatzfelder für induzierte pluripotente Stammzellen (iPSC) und embryonale Stammzellen heraus. Dazu gehörten die Herstellung verschiedener Organoide, mit denen Krankheitsmodelle untersucht werden könnten ebenso wie die Testung von Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten.
Frederik Lanner, ebenfalls Stammzellforscher, führte ein weiteres Einsatzfeld pluripotenter Stammzellen aus: die Anwendung in der Zellersatztherapie. Er beschrieb exemplarisch den Weg der Entwicklung eines Therapeutikums zur Behandlung von einer bestimmten Form altersbedingter Makuladegeneration. Eine solche anwendungsorientierte Forschung sei den deutschen Forschenden aufgrund der geltenden Rechtslage verwehrt.
Zwei Vertreter der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES), erläuterten die Rolle der ZES und stellten die konkreten Einschränkungen für die Forschenden in Deutschland heraus. Dazu gehöre laut Hans Schöler, dass laut Stammzellgesetz (StZG) Forschung mit neueren Zelllinien, die nach dem 01. Mai 2007 gewonnen wurden, nicht erlaubt sei (sog. „Stichtagsregelung“). Zudem ermögliche das StZG in Deutschland zwar die Forschung für hochrangige Ziele, nicht aber die Verwendung von Stammzellen für therapeutische Anwendungen (§ 5 StZG; sog. Forschungsvorbehalt). Antonio Autiero regte an, die Argumentationsgrundlage für das StZG zu überdenken, und ein dynamisches Verständnis von Lebensschutz in Sinne eines abgestuften Würdeschutzes zu erwägen.
May Evers, Patientenvertreterin, verdeutlichte, wie groß die Erwartungen von Erkrankten in neue Therapien seien und dass die Einschränkungen von Forschung und Entwicklung von stammzellbasierten Therapien für Betroffen nur wenig verständlich wären. Mats Hansson als Ethiker skizzierte in dem Zusammenhang vergleichend das Meinungsbild der Bevölkerung in Schweden: Seine Studie zeige, dass die schwedische Gesellschaft die Verwendung überzähliger Embryonen für einen guten medizinischen Zweck in großem Maße befürworte. Er legte dar, das die Akzeptanz wesentlich von der Informiertheit der potenziellen Spender abhinge.
Den rechtlichen Rahmen für Stammzellenforschung stellte der Rechtswissenschaftler Hans-Georg Dederer dar. Dabei konkretisierte er die Schwachstellen und Herausforderungen der von Verboten geprägten Gesetzesregelungen, welche bei einer Revision der geltenden Rechtslage in Betracht gezogen werden müssten. Dazu zählte auch, die Definitionen des ESchG und StZG entsprechend dem heutigen Stand der Wissenschaft zu überprüfen, denn neuartige Zellgebilde seien darunter nicht eindeutig abgebildet. Auf eine Art dieser neuartigen Zellgebilde, die sogenannten Embryoide oder Embryomodelle, ging die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert konkreter ein. Solche Embryo-ähnlichen Strukturen würden jüngst entwickelt und genutzt, um die frühe Entwicklung von Embryonen näherungsweise im Modell zu untersuchen. Treffende und tragfähige Bezeichnungen seien hier entscheidend, um sich in dem schnell entwickelnden Forschungsfeld zu orientieren und Grenzen zu erkennen. Auch für Nicht-Wissenschaftler wäre so besser erkennbar, wo die Forschung sich ethisch sensiblen Bereichen nähere.
Mummery gab eine Einführung in das Feld der Stammzellen, ihrer Unterschiede und Anwendungsbereiche. Sie stellte die drei verschiedenen Arten von Stammzellen vor, die ein unterschiedliches Potenzial in ihrer Entwicklungsfähigkeit aufweisen. Dieses reiche von sehr eingeschränkten Entwicklungsmöglichkeiten bei adulten Stammzellen bis hin zu pluripotenten embryonalen Stammzellen, die jede Zelle des Körpers ausbilden können.
Adulte Stammzellen hätten trotz ihres eingeschränkten Entwicklungspotenzials in bestimmten Anwendungen einen Mehrwert. So könne beispielsweise bei Cystischer Fibrose durch einen Labortest mit adulten Stammzellen besser bestimmt werden, auf welches Medikament eine betroffene Person anspricht. Gerade bei induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC) und embryonalen Stammzellen (ES) gebe es große Unterschiede in der Gewinnung und auch später in der klinischen Anwendung. So wiesen beide Zelltypen z.B. bezüglich der Sicherheit für die Patientinnen und Patienten Unterschiede auf. Denn iPSC-Zellen sind abgeleitet aus Körperzellen, die genetisch älter sind als ES Zellen und somit mehr genetische Veränderungen angehäuft haben können. Dies wiederum erhöhe die Wahrscheinlichkeit für Tumorbildung. Viele iPSC-Zellen unterlägen überdies einem Patentschutz.
Neben den Zelllinien erläuterte Mummery auch das Konzept der künstlichen Keimzellen und Organoide, vor allem Hirnorganoide, die meist aus adulten Zellen des entsprechenden Organs und embryonalen Stammzellen erzeugt werden.
Lanner beschrieb seine Forschungsarbeiten im vergangenen Jahrzehnt. Eins seiner wissenschaftlichen Ziele sei, eine stammzellbasierte Behandlung der trockenen altersbedingten Makuladegeneration zu entwickeln. Bisher ist diese Form der Krankheit nicht behandelbar und führt zu einer massiven Sehbehinderung der betroffenen Person. In seiner anwendungsorientierten Forschung war es zwingend nötig, eine Stammzelllinie zu erhalten, die unter klinischen Bedingungen hergestellt wurde und dadurch auch in klinischen Studien und potenziellen späteren Therapien verwendet werden dürfe. Lanner berichtete, dass es den Forschenden seines Labors nach langer Arbeit gelungen sei, diese Zelllinie aus überzähligen humanen Embryonen herzustellen und sie nun die Zellen in Tierversuchen testen. Diese Laborexperimente waren ebenfalls erfolgreich und mit einem Partner der Industrie konnte die nächste Stufe der Arzneimittelentwicklung in Form von sogenannten präklinischen Studienpaketen genommen werden. Eine klinische Studie würde gerade initiiert. Er veranschaulichte, wie eine ganz konkrete Behandlung und potenziell Heilung mit Hilfe von humanen embryonalen Stammzellen möglich sein kann, aber auch wie lange der Entwicklungsprozess dauerte und welche Hürden die Forschenden immer wieder zu überwinden hätten.
Gleichzeitig zeigte Lanner auf, dass ältere Stammzelllinien oftmals nicht für die Entwicklung von Zellprodukten oder Zelltherapeutika für die medizinische Anwendung geeignet seien, da sie nicht mehr aktuellen medizinischen Richtlinien, beispielsweise bezüglich der Kultivierung mit bestimmten Medien und Zusatzstoffen, entsprächen.
Schöler stellte die Rolle und Perspektive aus der Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung (ZES) dar.
Die interdisziplinäre Kommission prüft im Auftrag des Robert Koch-Instituts mit Blick auf das Stammzellgesetz (StZG) die ethische Vertretbarkeit wissenschaftlicher Projekte nach definierten Kriterien, nämlich der Hochrangigkeit des Forschungsziels, der Vorklärung in tierischen Modellsystemen und der Alternativlosigkeit der Verwendung humaner Stammzellen im Projekt. Die ZES plädiere aufgrund der neuesten Fortschritte dafür, die Hochrangigkeit von Forschungszielen nicht auf die Grundlagenforschung zu beschränken, sondern auf die Anwendung der Forschungsergebnisse auszuweiten. Auch das Vorklärungserfordernis sei nicht auf Versuche mit tierischen Zellen oder Modellen einzuschränken, sondern sollte auch andere Vorklärungen wie z. B. Humanzellen einschließen. Darüber hinaus werde in der ZES diskutiert, dass die Stichtagsregelung und der Forschungsvorbehalt ersatzlos gestrichen werden sollten. Die Verwendung humaner Stammzellen solle auch für medizinische Anwendungen und therapeutischen Entwicklungen möglich sein, was eine Auflösung des Forschungsvorbehalts erfordere.
Insbesondere sei der strafrechtliche Umgang bei Verstößen gegen das StZG zu überdenken. Im Zusammenhang mit induzierten pluripotenten Stammzellen (IPS) und ihrer möglichen Anwendung bei Transplantationen sei auch die Auswirkung von genetischen und epigenetischen Mutationen sowie deren Alter zu beachten, da mit steigendem Alter der Zellen auch mit einem Anstieg von Mutationen zu rechnen sei.
Autiero berichtete, dass die Debatte über die Stammzellforschung oft als Schauplatz für die Frage nach dem moralischen Status des humanen Embryos genutzt wurde, was die Diskussion insgesamt stark polarisiere. Er plädierte daher für einen konstruktiven Beitrag zur Konsensbildung, innerhalb einer pluralen Gesellschaft, im Sinne des Gemeinwohls. Der Theologe forderte mit Blick auf den moralischen Status des Embryos, neue Denkformen zu kultivieren, die Vielfalt der Meinungen und Weltanschauungen zu berücksichtigen, um somit eine Diskussion über den Umgang mit überzähligen Embryonen zu ermöglichen. Er sprach sich dafür aus, für überzählige Embryonen eine handlungsorientierte, verantwortbare Umwidmung und Zielsetzung zu definieren, mit der es möglich ist, die überzähligen Embryonen als Chance zu betrachten, in den Dienst der Forschung und der Menschheit zu treten. Nicht zuletzt plädierte er dafür den „Übergang von einem statischen, defensiven zu einem evolutionären, dynamischen und ganzheitlichen Verständnis von Lebensschutz zu wagen“.
May Evers, die selbst Parkinsonpatientin ist, beschrieb die Herausforderungen, mit denen Parkinsonpatientinnen und -patienten tagtäglich umgehen müssten, aber auch die Chancen, die sich aus neuen stammzellbasierten Therapien für Patientinnen und Patienten ergeben. Es sei für die Betroffenen eine große Hoffnung, dass mit diesen neuartigen Behandlungsmethoden ihre Erkrankung behandelt und möglicherweise sogar geheilt werden könnte. In anderen Ländern würden bereits stammzellbasierte Therapien zur Behandlung der Parkinsonerkrankung entwickelt und geprüft. Evers betonte, dass auch in Deutschland Patientinnen und Patienten die bestmögliche Behandlung erhalten sollten. Dass derzeit eine stammzellbasierte Therapie und Forschung in Deutschland aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei, sei aus Sicht der Betroffenen nur schwer verständlich.
Hansson erläuterte die Sicht von Patientinnen und Patienten und der breiten Öffentlichkeit in Schweden auf die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen zu medizinischen Zwecken. Er beschrieb eine sich verändernde moralische und gesellschaftliche Einstellung zur Nutzung von humanen Stammzellen, weg von einer allgemeinen Ablehnung hin zu einer differenzierten Abwägung von Nutzen und Risiken. Hansson stellte eine Studie vor, in der mit einer repräsentativen Umfrage in der schwedischen Öffentlichkeit untersucht wurde, was eine akzeptable Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen wäre. Er zeigte, dass eine breite Akzeptanz für die Verwendung überzähliger Embryonen für einen guten medizinischen Zweck bestehe, wobei diese und die Spender jedoch mit Respekt behandelt werden sollten.
Er vermute, dass auch in anderen Ländern das Bild ähnlich aussehen könne, wenn Bürgerinnen und Bürger befragt würden, und wenn man ihnen Wahlmöglichkeiten gäbe.
Hansson berichtete abschließend, dass in Schweden inzwischen in ersten Studien humane embryonale Stammzellen für die Behandlung von Parkinson eingesetzt werden.
Dederer erläuterte die rechtlichen Rahmenbedingungen, die derzeit in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz und das Stammzellgesetz für Forschung mit embryonalen Stammzellen gelten. Nach aktueller Rechtslage ist eine Generierung, Einfuhr und Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für Forschungszwecke verboten. Stammzelllinien, die vor dem Stichtag 01.05.2007 generiert wurden, dürften lediglich unter bestimmten Voraussetzungen und nach Genehmigung durch das Robert Koch-Institut sowie vorheriger Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission für Stammzellenforschung (ZES), nach Deutschland eingeführt und verwendet werden. Dederer beleuchtete auch die Schwachstellen und Herausforderungen, die sich aus juristischer Sicht aus der derzeitigen Gesetzeslage ergeben. Dazu gehörten die Definition von Embryo und Keimbahnzellen, die Einschränkungen zur Nutzung von Stammzellen für therapeutische Zwecke und der Umgang mit überzähligen Embryonen.
Schöne-Seifert legte die verschiedenen Gründe dar, warum aus ethischer Sicht über eine Neubewertung der Embryonenforschung in Deutschland nachgedacht werden sollte. Insbesondere bedürfe es einer eindeutigen Definition des Begriffes Embryo, um mit Blick auf die innovativen Entwicklungen der Wissenschaft Embryomodelle von natürlichen Embryonen unterscheiden und hinsichtlich ihrer Schutzbedürftigkeit differenzieren zu können.
Bei der Forschung in beiden Systemen, natürlichen Embryonen und Embryomodellen handele es sich um jeweils eigenständige Werkzeuge, die sich je nach Fragestellung ergänzten. Hier betonte sie auch, dass die Begrifflichkeiten sensibel gewählt sein müssten, um keine verzerrten Vorstellungen zu provozieren. Denn die heutigen Embryomodelle seien weit davon entfernt, sich zu Lebensfähigkeit zu entwickeln, wie es die ersten Presseartikel zu „synthetischen Embryonen“ implizierten.
Zum Thema Stammzellforschung diskutierten die Sprecherinnen und Sprecher offen miteinander und mit den Teilnehmenden der Konferenz über die vorgetragenen und neuen Argumente. So wurde beispielsweise ergänzt, dass eine etwaige monetäre Entlohnung für die Spende überzähliger Embryonen kritisch betrachtet werden müsse. Vorgeschlagen wurde auch, die Diskussion zu entschärfen, indem die Frage nach dem Status des Embryos zunächst ausgeklammert werden sollte. Die Schräglage, dass veraltete Regelungen die Forschung behindern und gleichzeitig neue Entwicklungen, wie Embryomodelle unberücksichtigt lassen, wurde adressiert und bereits erste Argumente für die anschließenden Workshops betrachtet.
Zwischenfazit
Der Theologe und Ethiker Peter Dabrock fasste die beiden Sessions der Konferenz für eine erste Zwischenbetrachtung zusammen. Da die sensible Thematik an der Statusfrage des Embryos kaum vorbeiführe, sei eine einstimmige Akzeptanz in der Gesellschaft nicht zu erwarten. Wichtig sei es aber, hier nicht zu polarisieren, sondern eine sachgerechte Diskussion zu führen und das allgemeine Verständnis in der Bevölkerung zu steigern. Nur so könne man gesellschaftlich und politisch verantwortungsvoll entscheiden und handeln.
Dabrock schloss die Vorträge und Diskussionen aus den verschiedenen Disziplinen mit einem Appell ab: „Wir haben Verantwortung für das, was wir tun, aber auch für das, was wir wider besseren Wissens unterlassen.“
Die verschiedenen Perspektiven hätten aufgezeigt, dass gerade aufgrund des rasanten Fortschritts wissenschaftlicher Entwicklungen neue Diskussionspunkte aufkommen. Andererseits sei diese Tatsache auch als Herausforderung zu verstehen, das Konfliktpotenzial trotz der Komplexität der Thematik nicht noch größer werden zu lassen.
Sowohl in sachlicher, sozialer, räumlicher als auch zeitlicher Dimension müssten wir uns die Frage stellen, wie ein Kompromiss vor dem Hintergrund der Diskussion zu erlangen wäre. Das Ganze sei vor allem als wechselseitiger Lernprozess zu verstehen, dessen Ziel es sein sollte, einen größtmöglichen Konsens zu schaffen. In diesem Zusammenhang plädierte er auch für mehr Partizipation und „public engagement“ in der Wissenschaft, um die gesellschaftliche Mitte abzuholen und die Spielräume des Verfassungsrechts nutzen zu können.
Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Vorträge und Diskussionen widmeten sich am zweiten Tag zwei Workshops der Frage, wie rechtliche Regelungen auf dem Gebiet der Embryonen- und Stammzellforschung weiterentwickelt werden könnten. In beiden Workshops bildeten Thesenpapiere den Ausgangspunkt differenzierter und teils kontroverser Diskussionen. Den Auftakt der kritischen Auseinandersetzungen bildeten jeweils kurze Impulsvorträge ausgewählter Expertinnen und Experten zu den eingangs vorgestellten Thesen. Ziel der Diskussionen war es, die thesenhaft vorgeschlagenen Rechtsänderungen bzw. -neuerungen kritisch zu reflektieren, insbesondere Regelungsansätze, -konzepte und -strukturen naturwissenschaftlich, medizinisch, ethisch und (verfassungs-)rechtlich zu hinterfragen. Die Anregungen und Kritikpunkte der Teilnehmenden wurden von den Leitenden aufgenommen und flossen in die Überarbeitung der Thesenpapiere ein.
Berichte aus den Workshops
Henning Rosenau, Straf- und Medizinrechtler, gab Einblick in die wichtigsten Diskussionspunkte aus dem Workshop zur „Weiterentwicklung reproduktionsmedizinischer Regelungen und ihre ethischen und rechtlichen Implikationen für den Umgang mit überzähligen Embryonen“
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Er stellte heraus, dass in grundlegenden Punkten Einigkeit herrschte. Dass es sich nämlich in der Diskussion a) um den überzähligen Embryo in vitro drehe [und nicht um die Herstellung von Embryonen für die Forschung], b) um Forschung für hochrangige Ziele handele, und c) dass eine informierte Einwilligung eine Grundvoraussetzung darstellte. Für eine reformierte Regelung könne Deutschland von zahlreichen Vorbildern anderer Länder lernen und habe zudem bereits erprobte vertrauenswürdige Regulierungsbehörden als Basis. Zudem wurden viele wichtige Argumente und Handlungsoptionen im Workshop gesammelt.
Der Gesetzgeber habe hier einen Gestaltungsspielraum, der mit einer Verantwortung gegenüber den Bürgern einhergehe. Schließlich sei der Bedarf nach medizinischen Innovationen und besseren Grundlagenwissen auf der Konferenz hinlänglich dargestellt worden. Für eine breite Legitimität müsste man aber deutlich machen, dass “der Wert des Lebens und der Lebensschutz nicht relativiert wird, wenn man Forschung an überzähligen Embryonen zulässt“, und zwar in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs.
Dirk Lanzerath fasste als Ethiker und Biologe die Diskussion aus dem Workshop zu den „Rahmenbedingungen der Forschung an und mit humanen pluripotenten Stammzellen und humanen Zellgebilden („-oide“)“ zusammen. Er betonte die Einigkeit darüber, dass die verschiedenen Arten der pluripotenten Stammzellen für Ihre Zwecke eine Berechtigung hätten und dass genetische Veränderungen mit Reproduktionszwecken weiterhin unvereinbar seien. Auch sei die Auflösung des Forschungsvorbehaltes unstrittig gewesen, um mehr therapeutisches Potenzial auszuschöpfen.
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Viele Details müssten jedoch weiter abgewogen werden, ob beispielsweise eine Definition des Embryos im Gesetz zielführend sei, welche Ziele als hochrangig erachtet würden und wie ein Einwilligungsverfahren aussehen müsse.
Er wies darauf hin, dass bei einer Reform der Gesetzgebung und der Arbeit auf dem Wege dorthin sehr auf die Wortwahl geachtet werden müsse, um eine Polarisierung zu vermeiden. Für einen sachgerechten gesellschaftlichen Diskurs brauche es auch eine begriffliche Verlässlichkeit der Naturwissenschaften. Als Novum der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen erläuterte er zudem, sei eine periodische Überprüfung mitgedacht worden, um die Starrheit der aktuellen Gesetze nicht zu wiederholen und Anpassungsmöglichkeit im Hinblick auf die Entwicklungen der Forschung einzuplanen.
Beide Berichterstatter betonten, dass eine konsistente kohärente Gesetzgebung das Gebot der Stunde sei. Wer medizinische Innovationen will, müsse für die Forschung geeignete Bedingungen schaffen.
Mario Brandenburg (BMBF) zieht Bilanz – Wie geht es weiter
Der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Mario Brandenburg, betonte in seiner Abschlussrede, wie wichtig es sei, den Diskurs zu dieser Thematik zu suchen und Perspektiven aufzuzeigen. Zu diesem Thema existierten unterschiedliche Blickwinkel.
Gegenüber den Patientinnen und Patienten, für die Embryonen- und Stammzellforschung Perspektiven für die Heilung in Aussicht stelle, müssten wir als Gesellschaft erörtern, was die Grenzen sein sollten. Wenn man medizinische Innovationen ermöglichen wolle, sei es essentiell, auch die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Dazu gehörten die Schaffung von Rechtssicherheit für Forschende, innovationsfreundliche Rahmenbedingungen, sowie förderliche Bedingungen für die internationale Anschlussfähigkeit und Kooperation für Forschung und Innovation. Es sei wichtig, Herausforderungen offen und lösungsorientiert mit der Gesellschaft, den Expertinnen und Experten und der Politik zu erörtern.
Er wolle sich der Herausforderung stellen, den Diskurs in die Politik zu tragen, mit dem Ziel, die Regelungen den heutigen Ansprüchen anzupassen.